Toedliches Fieber
unsicher.
»In einer Sklaventunika kannst du nicht aus dem Haus gehen. Wenn du das hier trägst, sieht man auch nichts von deinem Brandmal und der verletzten Schulter.«
Die römische Toga stand für Bürgertum und Ehre; es war ein ernstes Vergehen, wenn man sie ohne Erlaubnis trug. Außerdem wusste Sethos nicht einmal, wie man sie anzog. Vibia dagegen hatte zwar steife Finger, aber auch jahrelange Übung und glättete kurz darauf die Falten des Umhangs. Sethos holte scharf Luft, als sie den schweren dunklen Mantel über seine geschiente Schulter warf.
»Tut mir leid«, murmelte sie und schloss die Schnalle. »Doch du wirst sehen, die Kapuze ist recht nützlich.«
Als sie fertig war, trat sie einen Schritt zurück.
»Gut.« Sie nickte beifällig. »Du siehst wahrhaftig wie ein römischer Bürger aus.«
Er schenkte ihr ein süßsaures Lächeln. Sie wussten beide, welch zweischneidiges Kompliment sie ihm da gemacht hatte. Die meisten römischen Bürger waren ihm verhasst.
Dann fasste Vibia seinen Arm. »Sethos, verrate dich nicht, was immer du auch zu sehen bekommst. Unser aller Leben hängen davon ab.«
Seth sah sie nachdenklich an. Er hatte die Warnung verstanden und verspürte ein ungeahntes Grauen.
An der Tür sah Vibia sich um und winkte ihm dann, ihr zu folgen. Sie führte ihn durch den Garten zum Seiteneingang, wo sie ihn warten ließ, bis sie vorsichtig geprüft hatte, ob die Straße dahinter frei war. Als die Luft rein war, nickte sie ihm schweigend zu. Plötzlich stand er allein auf der Straße.
Seit seiner Verschleppung aus Korinth genoss Seth erstmals einen Hauch von Freiheit. Ein versklavter Gladiator war auf den Straßen von Londinium niemals unterwegs, es sei denn in Ketten und streng bewacht. Doch er nahm sich nicht die Zeit, seine Freiheit zu genießen. So schön es auch war, ohne Fußeisen zu laufen – er konnte keine Gnade erwarten, wenn man ihn als römischen Bürger verkleidet erwischte. Als reichte das nicht aus, war sein Ziel ausgerechnet die Höhle des Löwen: das Forum.
Der Plan war gewagt, denn das Forum stellte den Mittelpunkt allen wirtschaftlichen und politischen Lebens in Londinium dar. Dort war es mit Sicherheit sehr voll. Alle, die etwas auf sich hielten, trafen sich dort, und so auch er, Sethos Leontis, der berühmte Gladiator!
Glücklicherweise kannte Seth sich mit der römischen Seele gut aus. Sklaven waren unsichtbar, die Römer betrachtetensie nicht als Menschen. Und selbst wenn er ein gefeierter Sklave, ein begnadeter Kämpfer in der Arena war, bezweifelte er, dass ihm viele Zuschauer jemals ins Gesicht gesehen hatten. In der riesigen Arena saßen die meisten ohnehin viel zu weit entfernt, um die Gladiatoren genau zu sehen, sodass Sethos sich in seiner Verkleidung keine Sorgen machte. Er musste nur diejenigen fürchten, die ihn tatsächlich kannten. Glücklicherweise waren die anderen Gladiatoren noch nicht aus Aquitanien zurück. Andererseits war ihm bewusst, dass nicht wenige römische Damen ihn nur allzu gut kannten. Er verdrängte diesen Gedanken sofort.
Die Villa der Natalis’ lag nur einen kurzen Spaziergang vom Forum entfernt. Seth ging zügig, ohne zu hasten (wie Vibia es ihm geraten hatte), und dachte über die Botschaft ihrer Nichte Sabina nach.
Sabina sollte Livia um zwölf Uhr mittags von Cassius’ Haus zu den Geschäften auf dem Forum begleiten. Es war das erste Mal seit der Hochzeit, dass Livia ausgehen durfte. Offenbar hatte Cassius beschlossen, ihr diesen kleinen Freiraum zu gönnen, doch selbstverständlich ging er auf Nummer sicher und ließ sie von Sabina und einem Wächter begleiten. Seth wollte nicht darüber nachdenken, wie Livia Cassius davon überzeugt hatte, dass er ihr vertrauen konnte. So wie er Flavia irregeführt hatte?
Er wusste, dass er höchstens hoffen durfte, sie kurz zu sehen, doch genau diese Hoffnung hatte ihm den ganzen Morgen Kraft gegeben. Er war gar nicht darauf gekommen, den Plan infrage zu stellen, denn er brauchte ihren Anblick wie eine Pflanze das Wasser.
Bis zum Forum verlief alles ohne Zwischenfälle. Kurz vor Erreichen seines Ziels setzte Sethos die Kapuze auf, obwohl es an diesem kühlen, doch trockenen Septembertag übertrieben wirkte. Das gefiel ihm zwar nicht, aber bei näherem Nachdenken erschien es ihm sicherer, wenn sein Gesicht im Schatten lag. Das Gewicht von Toga und Mantel rieb schmerzhaft über seine Schulter und bei jedem Schritt wurde die Wunde durchgerüttelt, doch Seth kümmerte sich nicht darum.
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