Toedliches Fieber
Teile der Stadt als ihnen zugehörig. Es war ihr Tempel, ihre Kaserne und ihre Arena. Durch die fremden Stadtteile lief er nicht so gern, er fand sie unheimlich und gespenstisch. Er verstand nicht, woraus die Gebäude bestanden, warum sie so hoch waren oder wozu sie dienten. Deshalb machte er einen großen Bogen darum, jedenfalls bis zu dem Tag, an dem er zum Fluss lief.
Seit seiner Ankunft hatte Seth die Tamesis gemieden, denndort hatte er Livia zuletzt lebend gesehen. Doch je mehr Zeit verging und je weniger Orte es gab, an denen er sie noch nicht gesucht hatte, umso klarer erkannte er, dass er dem Strom nicht länger ausweichen konnte.
Er bog um die letzte Ecke und sah die Tamesis im Sonnenschein funkelnd dahinfließen. Seth runzelte die Stirn. Irgendwie sah der Fluss anders aus – schmaler. Vielleicht lag es aber nur an den hohen fremdartigen Gebäuden rechts und links am Ufer. Instinktiv duckte er sich in den Schatten des nächstgelegenen Hauses. Hatte er da etwas gehört?
Es musste wohl so sein, denn kurz darauf entdeckte er drei Männer, die aus einem Gebäude am Wasser kamen.
Menschen.
Es gab noch andere außer ihnen.
Sein Herz raste. War es möglich, dass sie Livia gesehen hatten?
Doch konnte er überhaupt mit ihnen reden? Würden sie merken, dass er ein Sklave war? Seth fluchte – seine Brandmale würden ihn sofort verraten. Hätte er doch bloß einen Umhang mitgenommen! Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da spürte er feine Wolle auf seinen Schultern, und als er an sich hinuntersah, bemerkte er, dass er eine genaue Nachbildung des Umhangs trug, den er von Vibia bekommen hatte. Seth lächelte. Er hatte ganz vergessen, dass er so etwas konnte.
Doch er blieb in seinem Versteck. Wenn er in den Jahren der Sklaverei eins gelernt hatte, dann war es Vorsicht. Von seinem Standort konnte er unauffällig alles hören und sehen.
Das Trio ging ans Ufer und schaute aufs Wasser. Einer vonihnen lachte und zeigte auf etwas. Sie trugen sonderbare Anziehsachen – Arme und Beine waren völlig mit Stoff bedeckt, obwohl es heiß war. Ein Mann hatte einen Bart.
Ein Grieche?, überlegte Seth. Die meisten Römer, denen er begegnet war, hatten sich rasiert.
Er schlich näher, um zu lauschen. Die Sprache hatte er jedoch noch nie gehört. Also waren sie keine Griechen. Wo sie wohl herkamen?
Während er sie von seiner dunklen Ecke aus beobachtete, hob der größte der drei Männer plötzlich den Blick und sah ihm direkt in die Augen. Instinktiv drehte Seth sich auf dem Absatz um und rannte davon.
Als er in seiner Zelle ankam, war er schweißgebadet und schrecklich durstig. Er hatte sich gerade Wasser eingeschenkt und dankbar getrunken, als Matthias hereinkam.
»Seth – wir müssen umziehen.«
»Hat mich jemand verfolgt?«, keuchte Seth und ging rasch zum Fenster.
»Verfolgt? Wer sollte dich denn verfolgen?«
Seth ließ den Blick über die Arena schweifen.
»Die drei Männer …«
»Welche drei Männer?«
»Unten am Fluss. Ich habe Menschen gesehen …«
»Da sind noch andere?« Matt freute sich.
»Ich glaube nicht, dass sie freundlich sind.«
Matthias stellte sich neben ihn ans Fenster. »Noch ein Grund mehr.«
»Wofür?«
»Für einen Umzug! Ich habe etwas Neues für uns gefunden.Wir leben hier wie Sklaven, dabei sind wir doch frei. Wir müssen etwas daraus machen.«
»Für mich ist es hier gut genug«, sagte Seth, ging zum Tisch und kippte sich das restliche Wasser über den Kopf.
»Seth, Bruder, vielleicht meinst du, du würdest hierhin gehören, aber ich nicht. Ich bin nicht dazu geboren, wie ein Tier zu leben – und du auch nicht.«
»Ich habe so lange wie ein Tier gelebt, dass ich alles andere vergessen habe.«
»Seth … das ist längst vorbei.«
»Nichts ist vorbei, Matt. Es geht immer weiter. Tag für Tag, Nacht für Nacht, nichts ändert sich. Es tut immer weiter weh. Sieh dich doch um – überall herrscht Leere … das siehst du doch auch, oder?«
»Nein, so sehe ich das nicht, Seth, wirklich nicht. Wenn ich mich umschaue, sehe ich einen Ort, der mir jede Menge Chancen bietet. Erst recht, wenn es noch andere Leute gibt, wie du sagst. Wie lange willst du noch in dieser Finsternis verweilen? Wie lange musst du um dieses Mädchen trauern?«
»Solange ich lebe.«
»Beim Blut des Apollo! Sie ist tot, Seth! Aber du bist hier!«
»Wer ist hier? Wer bin ich, Matthias? Jedenfalls nicht mehr Sethos, der Korinther, und auch nicht Sethos Leontis, der neun Lorbeerkränze
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