Toedliches Geheimnis
hast... da wusste ich es genau.«
Ich hole tief Luft und bringe es nicht über mich, ihm noch weitere Fragen zu stellen.
»Alles in Ordnung mit dir?«
Ich schüttele den Kopf. Plötzlich brauche ich frische Luft, obwohl wir draußen sind. Ich werfe einen Blick auf die Uhr und ahne, dass schon weit mehr als zwanzig Minuten vergangen sind.
»Bitte erzähl keinem davon«, sagt er. »Das ist vertraulich.«
»Dass ich in Gefahr bin, ist vertraulich?«
»Nein, das natürlich nicht, aber diese Berührungsgeschichte ist es. Und ich würde es gerne dabei belassen - wenigstens fürs Erste.«
»Also sozusagen unser kleines Geheimnis?«
»Ja, sozusagen.« Er nickt, und ich mustere sein Gesicht auf der Suche nach einem wissenden Blick oder einem vielsagenden Ausdruck - etwas, das mir zeigt, dass er derjenige ist, der das Geschenk hingelegt hat -, aber ich kann es einfach nicht sagen.
»Können wir vielleicht nachher noch sprechen?«, fragt er. »Darf ich dich anrufen?«
»Ich muss jetzt gehen«, sage ich und bringe kaum die Worte hervor.
Er murmelt etwas, dass er verspricht, mir zu helfen - dass er entschlossen ist, der Sache auf den Grund zu gehen -, aber ich höre nicht richtig zu.
Ich stehe von dem Felsen auf und habe plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich drehe mich um und
schaue über die Schulter. Da sehe ich Kimmie und Wes drüben bei den Schaukeln sitzen und von Weitem über mich wachen.
30
Sie will eih-fach nichft kören. Und deswegen habe ichjetzt einen Plan. Ich hoffe nur, dass sie meine ganze Mühe auch zu schätzen weiß - all die Arbeit, um sie glücklich zu machen. Ein für alle Mal.
31
Nach meinem Gespräch mit Ben haben Wes und Kimmie natürlich tausend Millionen Fragen.
Aber ich mag einfach nicht darüber reden.
Stattdessen starre ich aus dem Fenster, während Wes uns nach Hause fährt, und sehe den wirbelnden Farben, dem Strom von Häusern und Bäumen zu, die alle zu einem großen Bild verschwimmen.
»Komm schon«, bettelt Kimmie. »Wenn du uns schon nicht die ganze Geschichte erzählen willst, dann versorg uns doch wenigstens mit der gekürzten Klippensturz-Fassung.«
Ich schüttele den Kopf. Das Gespräch mit Ben steckt mir noch in den Knochen, und ich werde das Bild von seiner Freundin nicht los, wie sie über die Klippe gestürzt ist, und den Ausdruck des Entsetzens auf ihrem Gesicht, als er nach ihr griff.
»Rufe Camelia Chamäleon«, sagt Wes und hält die Hände vor den Mund wie ein Megaphon.
»Vielleicht braucht sie ein paar Spritzer Wasser ins Gesicht«, schlägt Kimmie vor.
»Ich hab nur noch ein bisschen abgestandene Limo«, sagt er und schüttelt einen riesigen Pappbecher. Er wirft mir einen Blick durch den Rückspiegel zu, aber ich schaue wieder auf die Straße hinaus und habe es plötzlich sehr eilig, nach Hause zu kommen.
»Soll ich noch mit dir reinkommen?«, fragt Kimmie, als wir vor unserem Haus vorfahren.
»Nein, danke«, sage ich und bemühe mich um ein Lächeln. »Ich ruf dich an, okay?«
Sie nickt, und ich gehe die Eingangsstufen hoch und direkt in die Küche. Ich bin einerseits froh, einen Zettel von meiner Mutter vorzufinden, auf dem steht, dass sich eine der Lehrerinnen aus dem Yoga-Studio krankgemeldet hat und dass sie nun für sie einspringen muss, und andererseits habe ich schreckliche Angst, so alleine zu sein.
In meinem Zimmer ziehe ich das Rollo herunter und kontrolliere, dass beide Fenster geschlossen und verriegelt sind, denn Bens Worte wollen mich einfach nicht loslassen.
Es ist gerade mal fünf Uhr. Es wird noch mindestens eine Stunde dauern, bis mein Dad nach Hause kommt. Und so verschanze ich mich an meinem Computertisch und google den Begriff Psychometrie, wobei ich fast hoffe, dass es nur ein erfundenes Wort ist und Ben gar nicht weiß, wovon er redet.
Aber es taucht sofort auf.
Psychometrie ist die Fähigkeit, durch Beruhrung zu »sehen«: etwas über die Geschichte eines Gegenstands zu er f ahren oder in die Zukunft einer Person zu schauen, indem er oder sie beführt wird.
Ich setze mich auf die Bettkante und kuschele mit meinem Eisbär und versuche herauszufinden, was das alles zu bedeuten hat - was es bedeuten wird, wenn ich mich entschließe, ihm zu glauben. Ich betrachte mein Spiegelbild im Spiegel des Frisiertisches - die Haare zurückgebunden, herzförmiges Gesicht, weit auseinanderstehende Augen - und ich frage mich, was Ben wirklich sieht, wenn er mich berührt.
Und wie ich wohl aussehe, wenn ich tot bin.
Einen
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