Toedliches Konto
hatte.
Kurt musste nun schnell das versprochene Gespräch mit dem Leiter der Mordkommission führen. Dabei wurde auch sofort klar, dass umgehend die Presse über die Ausweitung des Mordfalls Ina Dragun informiert und die Bevölkerung um Mithilfe gebeten werden musste. Wer hat die Opfer wann und wo zusammen gesehen, welche Verbindung gab es zwischen ihnen, wann wurden sie zuletzt gesehen. Jeder Hinweis war wichtig. Der Pressesprecher musste sich beeilen, damit die Zeitungen vor Ort den Aufruf noch morgen bringen würden.
Außerdem mussten die Telefongespräche und Mails von Bock und Ina überprüft werden, eine Aufgabe, die Kurt für den nächsten Tag bei Miriam deponierte. Ja, die Bankkonten von Bock sollten auch gecheckt werden. Sie müssten natürlich mit Mitarbeitern und Vorgesetzten in der Bank reden müssen, mit Leuten im Fitness-Center und schließlich die Petersburger kontaktieren. Mit seinem Chef hatte Kurt schon die Namen für eine Sonderkommission festgelegt. Sie würden gut zu tun haben.
Nachdem Kurt die nächsten Schritte vorbereitet hatte, wollte er nur noch schnell nach Hause. Lena war schon vorher beleidigt gegangen, da Kurt das Gespräch mit dem Chef alleine führen wollte. Gegen ihren Willen. Er wusste, dass Lena seine knappen Darstellungen gerne unterbrach, um weitere Ausschmückungen einfließen zu lassen. Das störte die Konzentration, und auch der Chef schätzte das nicht, was er aber nie zum Ausdruck brachte. Aber Kurt wusste es. Was er jetzt nicht wusste war, dass Lena alleine in die Bar gegangen war und insgeheim hoffte, dass Kurt doch noch kommen würde. Nach dem dritten Bier war sie schon leicht beschwipst, und als sie zur Toilette wollte, blieb sie mit dem Fuß am Barhocker hängen, stürzte und verstauchte sich den Knöchel. Humpelnd verließ sie die Bar und ließ sich vom Taxi nach Hause fahren.
7
Fassaden, besonders wenn sie schön sind, prägen das Bild einer Stadt. Dann findet man sie auf Postkarten und Prospekten und in den Kameras Tausender Touristen wieder. Besondere Motive, die zum Pflichtprogramm jeder Reisegruppe zählen, bringen es auf viele Millionen Ablichtungen jährlich. Man muss es als kulturelle Barbarei bezeichnen, dass niemals der Versuch gemacht wurde, die Zahl solcher Ablichtungen zu erfassen und in ein internationales Ranking einzureihen. Es ist auch bemerkenswert, dass die Schöpfer von Fassaden und Bauwerken niemals aus dem Recht ihres geistigen Eigentums Forderungen nach einem Entgelt pro Kameraklick abgeleitet haben. Nachdem ja auch die Käufer eines Kopierers eine Pauschale dafür berappen müssen, dass sie die gedruckte Seite eines Autors kopieren könnten, wofür natürlich (!) ein Honorar fällig werden muss, hatten die Schöpfer fotogener Fassaden anscheinend noch keine Pauschalabgabe beim Kamerakauf durchsetzen können.
Diese wirtschafts- und kulturpolitisch hochbrisante Frage hat der Staatssekretär Michael von Bodenscheid erst kürzlich im Wirtschaftsministerium der bayerischen Staatsregierung zu evaluieren versucht. Und wie es in einem straff geführten Ministerium üblich ist, haben die beamteten Mitarbeiter diesen Auftrag sogar ernst genommen, da er ja vom Herrn Staatssekretär kam. Außerdem klang die Begründung in einer politisch geschliffenen Diktion so überzeugend, dass selbst zweifelnde Geister zumindest den Ansatz unterstützten.
Immerhin wurden drei Monate lang in drei Arbeitskreisen a) die Grundsatzfrage, b) die praktische Umsetzung und c) die Honorarbemessung ausführlich diskutiert und auch erste Ergebnisse erarbeitet. Man war sich schon nach vier Wochen einig, dass man als Landesregierung nur über eine minimale Abgabe auf die Hotelübernachtungen einen Obulus erheben könne, dessen Höhe allerdings umstritten blieb. Man musste auch mit der Ungerechtigkeit leben, dass im Einzelfall Gäste übernachten könnten, die gar nicht fotografieren, zumindest keine Fassaden. Auch Kleinkinder mussten von dieser Abgabe befreit werden, und für Familien wurde ein Rabatt erwogen.
Dann plötzlich nach drei Monaten nahm das Projekt ein jähes Ende und musste eingestellt werden. Bezeichnenderweise allerdings nicht wegen Unsinnigkeit oder nicht vorhandener Umsetzbarkeit, sondern weil das Kultusministerium Wind davon bekam und dem Wirtschaftsministerium unter Berufung auf die Geschäftsordnung des Kabinetts die Zuständigkeit absprach und für sich reklamierte. Aus politischen Gründen betrachtete das Kultusministerium aber den jetzigen Zeitpunkt
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