Toedliches Konto
haben. In ihrer Wohnung gab es aber keine elektronischen Geräte, kein Notebook, Tablet-Computer und auch kein Smartphone. Und damit keine Hinweise auf eine Verbindungsperson und einen möglichen Mörder.
Der Aufruf in den Zeitungen und die neuerliche Befragung in der Nachbarschaft von Ina Dragun hatte bis jetzt auch keine wirklich neuen Anhaltspunkte ergeben. Sie war zwar wenige Mal zusammen mit Walter Bock gesehen worden, aber das war’s dann auch.
Der Computer von Walter Bock war von der Spurensicherung mitgenommen und inzwischen ebenfalls ausgewertet worden. Die Mails ließen keine Kontakte und Spuren erkennen, die zu seinem Tod und der Ermordung von Ina geführt hätten. Die Internetseiten, die Bock aufzurufen pflegte und über den entsprechenden Speicher noch zugänglich waren, gehörten in eine Kategorie, die den Ermittlern wohl vertraut war. Sie lösten wie immer eine Mischung von verstohlenem Interesse, geheuchelter Scham und mitunter echter Abscheu aus. Bock war auf eine harmlosere Sorte Voyeurismus abgefahren. Er betrachtete sich Fotos mit Blicken unter die Röcke, Frauen - allerdings auch minderjährige Mädchen - in Unterwäsche, lange Beine mit Strapsen und High heels, aber keine Pornos oder anderen Schweinskram. Kurt fühlte natürlich als Leiter der Sonderkommission eine Verpflichtung, sich ebenfalls diese Fotos anzusehen, doch er verlor bald das Interesse an dieser ihm fad erscheinenden Kost. Er dachte wieder an Lena und fragte sich erneut, ob vielleicht letzten Abend mehr gegangen wäre, wenn er noch den Weg zur Bar genommen hätte. Diese Lena nervte und reizte ihn zugleich.
9
Vera war durch den Zwangsurlaub nach dem Unfall ihrer Mutter ohnehin schon aus ihrer Arbeit herausgerissen worden, und da eine Kollegin in ihr laufendes Projekt eingesprungen war, hatte Vera kein schlechtes Gewissen, jetzt noch weitere Urlaubstage anzuhängen. Schließlich war ja ihr Mann gestorben - oder besser gesagt, ermordet worden.
Um Punkt zehn Uhr klingelte sie an der Türe des Pfarrhauses. Die Pfarrei St. Adalbert lag am Stadtrand und hatte eine eher kleinere, erst 30 Jahre alte Kirche, schmucklos und langweilig. Ein freundlich lächelnder Mann im Alter von Vera mit schwarzer Hose und schwarzem Rollkragen-Pulli öffnete ihr. Er sah gut und gepflegt aus und wirkte auf Vera recht sympathisch. Sie hatte bei ihrer Anmeldung nur gesagt, dass ihr Mann gestorben war und sie eigentlich in einer anderen Gegend wohnte. Und sie hatte einen falschen Namen genannt, damit der Pfarrer unvorbereitet mit ihr konfrontiert würde. Denn die Story über den ermordeten Walter Bock und seine Freundin stand ja in allen Zeitungen.
Nach den Begrüßungsformalitäten und seiner Beileidsbekundung führte sie der Pfarrer in einen Raum, der wohl gleichermaßen Besucherzimmer und Bibliothek war. Die Einrichtung war einfach und geschmacklos, aber wahrscheinlich gab es auch nicht so viele Besucher hier.
“Ich muss mich entschuldigen”, begann Vera, “dass ich Sie so kurzfristig um einen Termin gebeten habe.”
“Aber das ist doch selbstverständlich. Ich habe mich nur gewundert, wie sie ausgerechnet auf mich gekommen sind. Ich bin nicht sicher, ob ich Ihnen besser Trost spenden kann, als es in Ihrer Pfarrei möglich gewesen wäre.”
“Ich bin nicht gekommen, um getröstet zu werden. Mein Mann ist nicht auf die übliche Weise gestorben, er wurde ermordet.”
“Um Himmels willen.”
“Ich hoffe nicht, dass es der Wille des Himmels war, ich denke, es gab auf Erden einen Grund, ihn zu töten, und den würde ich gerne herausfinden.”
“Das sollte aber die Polizei tun und nicht der Pfarrer.”
“Sie wissen aber mehr darüber. Ich habe Ihren Namen Max Hackelberger in Zusammenhang mit den Petersburgern gehört. Mein Mann war Walter Bock, ich bin Vera Bock. Sie haben mit Sicherheit gestern alles über diesen Fall in unseren Zeitungen gelesen.”
Der Pfarrer war erst bleich und dann rot geworden und sah innerhalb von Sekunden viele Jahre älter aus. Die Petersburger waren schließlich ein Freundeskreis von Schwulen. In der Pfarrei wusste niemand von seiner sexuellen Orientierung, und auch wenn er sich niemals mit Buben oder Jugendlichen etwas hatte zuschulden kommen lassen, so würde doch ein erhebliches Misstrauen entstehen, wenn seine Gemeinde davon erfahren würde.
“Woher wissen sie von den Petersburgern, Frau Bock? Ich meine, das ist eine ganz persönliche, ganz private Verbindung, die von meiner Tätigkeit als Pfarrer streng
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