Tödliches Labyrinth
erziehen, dass sie eines Tages ihre wahre Identität nachweisen und ihren rechtmäßigen Platz bei MMI einnehmen konnte.
Neben den Dokumenten hatten sich in Roland Marlowes Aktenkoffer auch fünfzigtausend Dollar in bar befunden, wie sie von ihrem Vater mittlerweile erfahren hatte. Von seinem früheren Arbeitgeber hatte Jim über die Jahre hinweg genug über Investitionen und Aktien gelernt, um dieses Geld so gewinnbringend anzulegen, dass die Summe mittlerweile auf das Doppelte angewachsen war.
“Das war Mr. Rolands Geld”, hatte Jim seiner Tochter erklärt. “Daher waren deine Mutter und ich der Ansicht, dass wir keinen Anspruch darauf hatten. Wir haben einen Teil davon genommen, um dir Dinge zu kaufen, die nötig waren und auf die du unter den gegebenen Umständen unserer Ansicht nach einen Anspruch hattest. Aber der Rest gehört dir. Bevor du protestierst, lass mich dir noch etwas sagen. Deine Mutter und ich, wir sind
keineswegs
so arm, wie du vielleicht denkst. Wir wurden für unsere Arbeit von Mr. Roland und Mrs. Natalie sehr gut bezahlt, so dass wir einiges für uns auf die Seite legen konnten. Wir haben zurückgezogen und bescheiden gelebt, um keine Aufmerksamkeit zu erregen und kein Misstrauen zu wecken, das für uns alle hätte gefährlich werden können. Du wirst das Geld zukünftig brauchen, Leah. Nicht nur fürs College, sondern auch, um die Wahrheit über den Tod deiner leiblichen Eltern und über die Machenschaften bei Marlowe Micronics, Incorporated, aufzudecken.”
Leah erschien dieses Ziel mit ihren sechzehn Jahren völlig unerreichbar. Wie sollte sie auf sich gestellt und mit relativ bescheidenen finanziellen Mitteln diese immense Aufgabe bewältigen und eine rücksichtslose Gruppe stürzen, wenn das schon ihrem Vater nicht gelungen war?
“Du hast einige Trümpfe in der Hand, die Mr. Roland nicht hatte, Leah”, hatte Jim ihr ruhig erklärt. “Der wichtigste dieser Trümpfe ist der, dass diese Männer nicht wissen, dass du noch lebst. Nach sechzehn Jahren sind sie sicherlich restlos davon überzeugt, völlig unbehelligt davongekommen zu sein. Es erwartet auch niemand von dir, dass du dich ihnen schon morgen entgegenstellen sollst. Du hast Jahre Zeit, um dich vorzubereiten und um zu entscheiden, wie du am besten vorgehst, um deine Identität zu offenbaren und dein Erbe für dich zu beanspruchen. Bis dahin bist du weiterhin Leah Tallcloud, so wie in den letzten sechzehn Jahren. Nur dann bist du sicher. Du hast keine andere Wahl, Leah. Solange du nicht bereit bist, darfst du kein Wort über die Tatsache verlauten lassen, dass du in Wahrheit Angelina Marlowe bist. Es ist einfach zu gefährlich. Diese Männer sind nicht irgendwelche kleinen Ganoven, sondern kaltblütige Mörder. Mach nie den Fehler, das zu vergessen. Und unterschätze sie niemals. Sie werden so lange keine Ruhe geben, bis sie ihr Ziel erreicht haben.”
Leah gingen diese Worte durch den Kopf, die ihr Vater gesprochen hatte, und sie fühlte, wie ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief.
Sie wusste, dass er Recht hatte. Dass sie eigentlich Angelina Marlowe war, durfte sie keiner Menschenseele anvertrauen – nicht nur zu ihrem eigenen Schutz, sondern auch zum Schutz der Tallclouds. Auch wenn sie erst sechzehn war, verstand Leah, dass das Konsortium sich nicht mit ihr begnügen würde, wenn bekannt wurde, dass die Enkelin von Merritt Marlowe noch lebte. Man würde auch alles daransetzen, das indianische Ehepaar aus dem Weg zu räumen, das Leah bis heute für ihre leiblichen Eltern gehalten hatte.
Jim und Faith wussten zu viel. Sie stellten ebenfalls eine Gefahr für alles dar, was diese erbarmungslosen Männer an sich gerissen hatten.
Wer
waren diese Männer, die sich vor mindestens zwanzig Jahren ein Ziel gesetzt hatten, das so hoch war, dass sie sogar mordeten, um ihren dreisten Plan in die Tat umzusetzen?
Über die Jahre hinweg hatten die Tallclouds sehr genau mitverfolgt, was sich bei MMI tat. In Rolands Aktenkoffer befanden sich auch alle Unterlagen, von denen sie glaubten, dass sie eines Tages für das Mädchen von Nutzen sein könnten, das sie in jener schicksalhaften Nacht in ihre Obhut genommen und wie ihre eigene Tochter großgezogen hatten.
Es gab Kopien der veröffentlichten Jahresabschlüsse von MMI, Ausschnitte aus dem Wirtschaftsteil von Tageszeitungen, Zeitschriften und Finanzmagazinen, die Aufschluss gaben über Transaktionen des Unternehmens, über technologische Neuentwicklungen sowie über die
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