Tödliches Labyrinth
nicht in den Griff bekam.
Nachdem sie in der Etage, in der sich die Forschungs- und Entwicklungsabteilung befand, den Aufzug verließ, stellte sie erleichtert fest, dass sie noch Zeit genug hatte, um die Damentoilette aufzusuchen und dabei einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel zu werfen, so wie sie es an diesem Morgen bereits ein Dutzend Mal getan hatte. Seit sie das Haus verlassen und sich auf den Weg hierher gemacht hatte, war sie so nervös, dass sie fürchtete, sie würde vor lauter Aufregung noch in Ohnmacht fallen.
Als sie fertig war, trat sie vor den Spiegel ans Waschbecken, wusch sich die Hände und hielt sie unter den Heißlufttrockner. Dann strich sie sich übers Haar und steckte ein paar vereinzelte Strähnen fest, die sich aus dem modisch hochgesteckten Knoten gelöst hatten. Sie holte Puder und Lippenstift aus der Tasche, um ihr Make-up aufzufrischen, obwohl das noch längst nicht nötig war, und setzte schließlich ihre Hornbrille auf, die sie bei den Vorstellungsgesprächen auch schon getragen hatte.
Sie benötigte eigentlich keine Brille, um besser sehen zu können, doch sie hatte ihr geholfen, einen sehr professionellen, geschäftsmäßigen Eindruck zu machen – ganz zu schweigen davon, dass die Brille ein wenig ihr wahres Aussehen tarnte.
Durch die Bemerkungen ihrer Eltern war sich Leah völlig der Tatsache bewusst, dass sie die türkisfarbenen Augen ihrer Mutter geerbt hatte. Sie fürchtete, dass jemand bei MMI, der einen wachsamen Blick und ein gutes Gedächtnis besaß, sich daran erinnern könnte, wie auffallend blaugrün die Augen ihrer leiblichen Mutter Natalie Marlowe gewesen waren.
Sie zog die schwarze Kombination aus Jackett und Leinenrock zurecht und zupfte an dem farbenfrohen Schal, den sie um den Hals gelegt hatte. Dann seufzte sie schwer, da sie alles getan hatte, was sie konnte, und straffte entschlossen die Schultern.
“Hör auf, Zeit zu schinden, Leah”, murmelte sie ungeduldig. “Sonst kommst du wirklich zu spät. Du willst schließlich bei Mr. Bladehunter nicht gleich mit einem schlechten Eindruck starten, oder etwa? Nein, das willst du nicht. Also los jetzt – und zwar
pronto."
Ihr blieben noch zwei Minuten, um pünktlich zu sein, als sie in ihrem Büro eintraf. Abrupt stoppte sie, da vor ihrem Schreibtisch ein großer, dunkelhaariger Mann stand, der aus dem Fenster sah und offenbar in Gedanken versunken war.
Leah war einen Moment lang so aufgewühlt, dass sie den Mann nur einfältig anstarren konnte, während sie sich fragte, was er hier machte. Sie hielt es sogar für möglich, dass er aus Versehen aus dem Kasino hierher geraten war. Es war der pechschwarze Pferdeschwanz, der ihr als Erstes an ihm auffiel. Er reichte bis knapp unter die Schulterblätter und wurde von einer verzierten, aber maskulin wirkenden silbernen Klammer zusammengehalten. Mit diesem Pferdeschwanz machte dieser Mann keineswegs den Eindruck eines typischen leitenden Angestellten von MMI.
Als er sie hereinkommen hörte, drehte er sich zu Leah um, die in dem Augenblick erkannte, wen sie vor sich hatte. Ihr Atem stockte, und sie fühlte sich vierzehn Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt, zurück an jenen Tag in einer Kleinstadt, vor einer Kolonialwarenhandlung an einer Straßenecke.
Hawk …
Es war ein ungewöhnlicher Name. Eine innere Stimme sagte Leah, es hätte ihr schon früher auffallen sollen. Sie hätte die Verbindung herstellen sollen zwischen ihrem neuen Vorgesetzten und jenem jungen Mann, der vor so langer Zeit auf einem Parkplatz in einen Kampf mit Messern verwickelt gewesen war. Dass sie das nicht gemacht hatte, konnte sie nur ihrer übermächtigen Angst zuschreiben, sich durch den Job bei MMI auf einen Weg zu begeben, auf dem es kein Zurück mehr gab, sobald sie den ersten Schritt gemacht hatte. Viel länger, als sie es zuzugeben bereit gewesen wäre, hatte der Gedanke an die reale Gefahr für ihr Leben sie immer und immer wieder in ihren Albträumen verfolgt.
Nachdem sie durchgeatmet und ihre Fassung wiedererlangt hatte, bemerkte sie, dass aus Hawk Bladehunter der Mann geworden war, als den sie ihn in seiner Jugend bereits angesehen hatte. Der junge Mann, an den sie sich erinnerte, war noch unvergleichlich attraktiver geworden, sein stolzes Gesicht hatte einen provozierend ernsten Zug bekommen. Sein Körper war reifer und noch kraftvoller und unterstrich die ihm innewohnende Stärke und Geschmeidigkeit.
In seiner Jugend war er den anderen aus dem Reservat sehr
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