Tödliches Labyrinth
habe. Ich war seit einiger Zeit nicht mehr hier, und sie ist bestimmt schon um mich besorgt. Darum bin ich auf dem Weg nach … nach Hause.” Eben war der Blick des Mannes noch glasklar und scharf gewesen war, doch nun machte er wieder einen verunsicherten, verwirrten Eindruck. “Aber ich muss Ihnen sagen, dass ich mich nicht erinnern kann, wo mein Haus ist. Es muss wohl abhanden gekommen sein. So wie meine Handschuhe.”
“Warum steigen Sie nicht erst einmal ein, und dann fahre ich mit Ihnen in der Gegend umher? Vielleicht erinnern Sie sich dann ja an den Weg”, schlug Hawk vor und hoffte, nicht den Argwohn des Mannes geweckt zu haben.
Seinen Augen, die nun einen verlorenen Ausdruck angenommen hatten, konnte man ansehen, dass er zumindest zeitweise bei Sinnen war, wenn sein Verstand klar genug war, um zu argumentieren und gezielt Fragen zu stellen. Hawk wollte ihn nicht verängstigen, sondern zusehen, dass er aus freien Stücken in sein Cabrio einstieg und sich mitnehmen ließ.
Hawk war sich zwar sicher, notfalls den alten Mann auch mit Gewalt in seinen Wagen zu bekommen, doch es war ihm lieber, wenn er darauf verzichten konnte. Er wusste aus Erfahrung, dass schmächtige, hagere alte Leute trotz ihres Erscheinungsbildes überraschend kräftig sein konnten – zäh, anstelle von schwach. Er musste dabei nur an seinen Großvater denken, der ihn im Armdrücken immer noch schlagen konnte, obwohl er weit über sechzig und er, Hawk, muskulös und gerade einmal fünfundzwanzig war.
“Sie sehen nicht aus wie einer von
denen
”, erklärte der Alte nach einer Weile. “Es stimmt, ich bin
tatsächlich
schon sehr lange unterwegs. Ich bin müde, und ich möchte nach Hause. Also gut, ich nehme Ihr Angebot an, dass Sie mich zu meiner Villa fahren. Aber ich warne Sie, junger Mann. Versuchen Sie keine Tricks! Ich mag ja alt sein, aber ich bin nicht tot – noch nicht jedenfalls. Ich kann besser auf mich aufpassen, als Sie wahrscheinlich denken.”
“Das glaube ich Ihnen aufs Wort”, antwortete Hawk sanft und zeigte auf den Thunderbird. “Kommen Sie, wir wollen doch mal sehen, ob wir nicht herausfinden, wo Sie leben.”
Nach kurzem Zögern machte sich der Mann zu Hawks Erleichterung auf den Weg zum Cabrio. Er hielt ihm die Beifahrertür auf, der alte Mann nahm Platz. Hawk ging um den Wagen und stieg ebenfalls ein, dann startete er den Motor. Während sie weiter durch die Nacht fuhren, drehte er das Radio leiser.
“Wissen Sie, Sie haben mir Ihren Namen noch gar nicht verraten”, sagte er zu seinem Beifahrer.
“Ich dachte, Sie würden meinen Namen kennen.” Der Mann sank auf seinem Sitz in sich zusammen und schloss erschöpft die Augen. “Die meisten kennen ihn nämlich. Ich bin berühmt … schon seit Jahren. Das hat angefangen mit den Technologien, die ich im Zweiten Weltkrieg entwickelt habe. Von da an ist alles immer größer geworden. Ich hatte Millionen von Dollar … vielleicht sogar Milliarden. Ich vermute, dass ich sie immer noch habe, aber so ganz sicher bin ich mir da nicht. Meine verdammten Aufsichtsratsmitglieder wurden auf einmal habgierig und arbeiteten gegen mich. Ehe ich mich versah, hatten sie mich handlungsunfähig gemacht – mit Medikamenten, wissen Sie –, und dann rissen sie sich meinen Konzern unter den Nagel. Ich habe keine Ahnung, was sie alles gemacht haben. Darum muss ich zurück zu meiner Frau, damit ich in Ruhe dahinterkommen kann, was diese Männer verbrochen haben. Meine Frau ist auch berühmt – die schönste Schauspielerin von ganz Hollywood. Jedenfalls war sie Schauspielerin, bis ich sie heiratete und ihr all das nahm.”
“Wie heißt sie denn?” Hawk bekam allmählich eine Vorstellung davon, wie verrückt sein Mitfahrer in Wahrheit sein musste. Alles, was er bislang erzählt hatte, passte für ihn nur auf einen einzigen Mann, nämlich Merritt Marlowe, den Aufsichtsratsvorsitzenden von Marlowe Micronics, Incorporated.
“Wie sie heißt? Natürlich Isabel … Isabel Standish Marlowe. Haben Sie als Einsiedler gelebt, junger Mann, dass Sie nicht wissen, wie sie heißt?” Er hatte die Augen aufgerissen und warf Hawk einen aufgebrachten Blick zu.
“Nein, Sir.” Nun war Hawk sicher, dass sein Beifahrer den Verstand verloren hatte und sich für Merritt Marlowe hielt. Unter den gegebenen Umständen schien es ihm jedoch das Beste, auf den Mann einzugehen, anstatt ihm zu widersprechen. “Es ist nur so: Ich … ähm … ich sehe mir selten Filme an. Tagsüber arbeite ich, und bis
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