Tödliches Labyrinth
Roulettetischs stand, konnte sie seine Schuhe nicht sehen, hätte aber jeden Chip darauf verwettet, dass sie handgefertigt waren und aus Italien stammten.
Pryce war zwar ein verheirateter Mann, doch von seiner Frau war weit und breit nichts zu sehen. Stattdessen umschwärmte ihn eine ganze Reihe von jungen Frauen, deren Kleider nur wenig der Fantasie des Betrachters überließen und die dem Aussehen nach Kellnerinnen und Showgirls sein mussten. Es hielten sich auch einige Geschäftsleute in seiner Nähe auf, die Pryce allesamt mit unübersehbarer Hochachtung behandelten.
Die Mitarbeiter des Kasinos reagierten auf die kleinste Geste, die Pryce erkennen ließ. Eine einzige Handbewegung genügte, und schon wurde ihm jeder Wunsch erfüllt, ob es sich um handgerollte Zigarren oder Scotch on the Rocks handelte. Genauso großzügig ging er mit den Chips um, die er auf dem grünen Filz des Roulettetischs auftürmte, wenn die Einsätze gemacht werden konnten.
Leah hasste diesen Mann auf den ersten Blick.
Sie versuchte, sich einzureden, dass dieser Hass irrational war, dass er seine Ursache ausschließlich in Roland Marlowes Verdächtigungen und vielleicht sogar in seinem Neid auf einen ihm überlegenen Rivalen bei MMI hatte. Immerhin war ihr leiblicher Vater erst fünfundzwanzig gewesen, als er ums Leben gekommen war. Damit war er zweifellos all den Fehlern der Jugend erlegen, zu denen auch ein immenses Konkurrenzdenken gehörte, aus dem die meisten Männer nie herauszuwachsen schienen.
Es war folglich mehr als unlogisch, Pryce so vorschnell zu verurteilen.
Doch es war egal, wie attraktiv er war und wie jovial und charmant er sich gab. Leah konnte nicht darüber hinwegsehen, dass sein Lächeln aufgesetzt wirkte und sich nicht in seinen Augen widerspiegelte, die wie Stahl glänzten und genauso kalt und hart waren.
Natürlich konnte man nicht Pryce’ Position im Leben erreichen, wenn man sanftmütig war. Aber während sie ihn mit verstohlenen Blicken beobachtete, schien es ihr, als würden seine gut gelaunten Scherze, die er denen gegenüber machte, die ihn umschwärmten, einen grausamen Unterton aufweisen. Zudem fühlte er für ihren Geschmack eine Spur zu sehr mit denen mit, die auf die falsche Zahl gesetzt hatten, als würde er sich insgeheim an ihrem Pech weiden.
Einige Minuten vergingen, bis Pryce zu spüren schien, dass sie ihn beobachtete, und er sie auf einmal unvermittelt ansah. Für Sekunden, die Leah wie eine Ewigkeit vorkamen, trafen sich ihre Blicke.
Wie aus heiterem Himmel wurde sie von dem beängstigenden Gefühl befallen, in die kalten und mitleidlosen Augen des Todes zu blicken.
Unwillkürlich schauderte ihr, und sie verspürte das verzweifelte Verlangen, woanders hinzusehen. Obwohl dieser Wunsch nahezu übermächtig war, schien es ihr unmöglich, diesem hektischen Drängen ihres Verstandes nachzukommen. Es war, als wäre sie auf der Stelle zu Eis erstarrt. Sie war von Pryce’ stechendem, durchdringendem Blick wie hypnotisiert.
Erst eine Bemerkung von einem seiner Begleiter, brachte ihn dazu, woanders hinzusehen. Im selben Moment war der unerklärliche Bann gebrochen, mit dem er sie belegt hatte.
“Ist alles in Ordnung, Leah?” fragte Hawk und riss sie aus ihren Gedanken.
“Ja”, brachte sie heraus und zwang sich dazu, sich wieder in den Griff zu bekommen und kein falsches Wort zu sagen. “Ich bin nur auf einmal schrecklich müde, und ich glaube, dass Kopfschmerzen im Anmarsch sind. Ich fürchte, das kommt von dieser Mischung aus zu viel Aufregung, zu viel Alkohol und zu viel Lärm. Würde es dir etwas ausmachen, wenn wir gehen, Hawk?"
“Nein, überhaupt nicht”, sagte er nach einer kurzen Pause und begann, seinen Gewinn einzustreichen, den er auf seinem Tablett stapelte. “Ich würde sowieso sagen, dass wir unser Glück jetzt genug herausgefordert haben. Es bringt nichts, wenn wir noch mehr herausholen wollen.” Goldene Spielregel: Aufhören, wenn der Erfolg am größten ist.
Sie wandten sich vom Roulettetisch ab – und standen Winston Pryce gegenüber.
Unwillkürlich schnappte Leah entsetzt nach Luft und hatte Mühe, sich gerade zu halten. Beinahe hätte sie Pryce dabei angerempelt. Mit der Schnelligkeit einer zuschnappenden Schlange schoss seine Hand vor und packte sie am Arm, um ihr Halt zu geben.
“Verzeihen Sie”, sagte er und lächelte sie entwaffnend an. “Ich wollte Sie nicht erschrecken.”
Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass das
sehr wohl
seine Absicht gewesen war.
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