Tödliches Lachen
Schluss«, sagte Nestroy, ging zu seinem Schreibtisch, schaltete den Computer aus und winkte den beiden noch einmal zu.
»Warte, ich mach mich auch vom Acker«, rief Schreck. »Und du?«, fragte er Melanie Köster, »Was soll ich hier allein? Außerdem hab ich sowieso noch was vor. «
»Ach ja? Und was?«
»Das, mein Lieber, geht dich überhaupt nichts an.« Gemeinsam gingen sie zu ihren Autos, verabschiedeten sich und fuhren nacheinander los. Der übliche Stau auf der A 66 Richtung Wiesbaden, wo seit über einem Jahr die Fahrbahnen zwischen Hattersheim und dem Wiesbadener Kreuz von zwei auf drei verbreitert wurden, hatte sich um kurz nach halb sieben weitestgehend aufgelöst.
Mike verließ an der Abfahrt Zeilsheim/Kriftel/Hofheim die Autobahn und erreichte seine Wohnung keine fünf Minuten später. Er nahm den Pilotenkoffer aus dem Kofferraum, ging in den ersten Stock des unansehnlichen Gebäudes am Berliner Ring, wo man anonym lebte, aber auch von keinem belästigt wurde. Nur der Krach aus der Wohnung nebenan nervte ihn immer häufiger, wenn das junge Pärchen sich wieder einmal fetzte, um sich anschließend noch lauter zu versöhnen. Die Schreie und das Stöhnen dauerten nicht selten die ganze Nacht an und raubten Mike den Schlaf. Eines Tages würde er etwas dagegen unternehmen, den genauen Zeitpunkt würde er noch bestimmen. Er schloss auf, betrat seine Wohnung, die wahrscheinlich sauberste in der ganzen Anlage, stellte den Koffer in seinem Arbeitszimmer ab, machte den Fernseher an und zog sich aus. Er duschte, wusch sich die Haare, rasierte sich wie jeden Abend, cremte sich das Gesicht und die Hände ein und legte ein Eau de Toilette von Givenchy auf.
Nachdem er sich frische Unterwäsche, eine Jeans, ein hellgraues Hemd, braune Lederschuhe und seine Lederjacke angezogen hatte, überprüfte er den Inhalt seines Koffers, steckte einen neuen Kunststoffanzug hinein (den gebrauchten hatte er in einen blauen Müllbeutel gepackt und in eine Tonne zwischen Unterliederbach und Kriftel geworfen), lächelte versonnen, als er den Kasten mit dem kostbaren Besteck öffnete und gleich wieder verschloss und ihn zurück in den Koffer legte. Dann machte er den Fernseher aus und verließ nach kaum einer Stunde die Wohnung wieder. Das Pärchen stritt, und sie würden bald mit der Versöhnung beginnen, ein Ritual, das sie seit ihrem Einzug vor anderthalb Jahren beharrlich beibehielten.
Mike zog die Tür hinter sich zu. Die junge Frau kam eben-falls aus der Wohnung, das Gesicht gerötet, ein kurzer Blick, ein kaum hörbares Hallo, während sie sich auf den Aufzug zubewegte. Ihr Freund oder Mann, Mike hatte noch nicht herausgefunden, ob sie verheiratet waren, rannte ihr nach und hielt sie am Handgelenk fest. Er sagte nichts, sondern nahm sie einfach in den Arm und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Ohne Mike anzusehen, gingen sie zurück und schlössen leise die Tür.
Dann macht mal schön, dachte Mike und fuhr mit dem Aufzug nach unten. Er setzte sich in seinen Golf und startete den Motor. Sie würde jetzt zu Hause sein, wie jeden Montag, Donnerstag und Sonntag.
Es war dunkel und kalt, leichter Nieselregen machte alles noch ungemütlicher, doch das störte ihn nicht. Mike hatte ein Ziel vor Augen, an das er vor einem Drei Vierteljahr noch nicht einmal im Entferntesten gedacht hätte. Doch etwas stimmte nicht in seinem Leben. Seit er auf der Welt war, seit er denken konnte verlief sein Leben anders als das der meisten, die er kannte.
Seine Mutter war angeblich früh verstorben, doch er hatte vor zwölf Jahren erfahren, dass sie nicht tot war, sondern ihn und seinen Vater in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verlassen hatte, weil sie nur noch verzweifelt war. Sein Großvater hatte es ihm kurz vor seinem Tod gebeichtet und sich dafür entschuldigt, Mike all die Jahre hinweg angelogen zu haben. Seine Mutter sei nicht tot, sondern am Leben, aber nur er wisse, wo. Er sei auch der Einzige gewesen, dem Mikes Mutter sich anvertraut hatte, nicht lange, bevor sie abhaute. Sein Großvater hatte ihre Adresse und sie Mike gegeben, ihn jedoch gebeten, niemals seinem Vater oder seiner Großmutter etwas davon zu verraten.
Nur kurz danach hatte Mike den Kontakt zu ihr gesucht. Sie verabredeten sich in einer Kneipe in Hamburg, wo sie ihm bei mehreren Bier und Kurzen erzählte, warum sie ihn im Stich gelassen habe. Sie habe damals keine andere Wahl gehabt. Entweder wäre sie zugrunde gegangen, oder sie hätte eines Tages diesen Mistkerl, wie sie ihn
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