Tödliches Orakel
ich gar nicht mehr in Göttingen bin. Egal. Tobias hat mir den Schlüssel nie zurückgegeben, und er war auch nicht an seinem Schlüsselbund. Er hat ihn irgendwo versteckt.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Wenn die Bösen ihn gefunden hätten, würden die nicht so ein Theater machen.«
»Oder sie haben ihn gefunden, aber das Fach war leer.«
»Mag sein.« Sam klang widerspenstig, als er das sagte: Scheinbar war das keine Option.
»Wo hatten Sie den Schlüssel denn liegen?«
In der Wohnung ja wohl nicht, dachte ich, oder die Leute, die sie durchsucht haben, waren echte Stümper.
»In der Redaktion. Ich hatte meinen Schlüssel ewig lange an meinem Schlüsselbund, habe ihn irgendwann mal abgemacht und in eine Schublade geschmissen. Aber dieses Schließfach ist eine gute Chance, und deshalb fahre ich jetzt nach Göttingen.«
»Es ist Sonntag.«
Sam schüttelte mit dem Kopf, wollte aber damit wohl nicht den Wochentag infrage stellen.
»Das sind keine supersicheren Schließfächer, wo einen ein smarter Banker in Nadelstreifen in einen unterirdischen Tresorraum führt. Man braucht einen Code für den Vorraum der Bank, einen zweiten für einen Raum mit den Schließfächern und eben den Schlüssel für das Fach. Ich würde da nie einen Beutel Diamanten deponieren, aber für meine Zwecke hat es gereicht.«
»Viel Glück«, sagte ich.
Sam schwieg, seine Augen sahen ruhig in die Kamera, und der Schwarzweißbildschirm machte aus dem Türkis ein langweiliges Mittelgrau.
»Sie klingen, als meinten Sie das ernst«, sagte er schließlich, ich lächelte erneut.
»Sicher. Ich möchte ebenso wie Sie, dass das hier vorbei ist.«
»Ich würde Sie ja dann gern mal zum Essen einladen, aber irgendwie glaube ich, dass Sie Nein sagen werden.«
Ich lachte. »Fahren Sie nach Göttingen, Sam, das genügt schon.«
»Darf ich vorbei kommen, wenn ich etwas gefunden habe? In dem Schließfach? Mein Zug kommt um sechs an, ich wäre so um sieben hier.«
»Ja, kommen Sie vorbei. Und, Sam ...«
»Ja?«
»Seien Sie vorsichtig.«
Sam lächelte und nickte. »Okay. Ich komme wieder her.«
»Nein, nicht hier her. Hier ist privat.«
Er seufzte, und sein Gesicht verschwand vom Monitor.
***
»Ein trojanisches Pferd«, sagte Frau Berger. »Er denkt, dass es über das Internet gekommen ist.«
»Wahrscheinlich«, antwortete ich. »Wir hatten lange keine Griechen hier. In persona.«
»Jemand hat das Pferd gezielt in Ihren Computer gebracht. Es ist extra für Sie gemacht worden. Es hat ihm gefallen. Er sagte, es wäre elegant. Schlicht und ... effizient.«
»Ich fühle mich geschmeichelt.«
»Es hat Dinge nach außen geschickt. Über die Leitung.«
»Per Post wäre schwierig geworden.«
Frau Berger konsultierte einen Zettel mit Notizen. Wir standen in meinem Arbeitszimmer neben dem Konsultationsraum, in dem es noch nach dem Patchouli-Aftershave des Computer-Hippies roch. Er schien nach Frau Bergers Anruf sehr prompt gekommen zu sein: Scheinbar ging es ihm an seine Hacker-Ehre, wenn andere sein angeblich absolut sicheres System knackten.
»Er hat das Pferd ... isoliert. Und ... extrahiert. Er empfiehlt, die Kundendaten und die Termine auf einem Computer zu speichern, der nicht an dieser Leitung angeschlossen ist.«
Frau Berger zeigte auf ein graues Kabel am Computer.
»Das ist das Stromkabel. Er meinte die Verbindung zum Internet.«
»Er bringt morgen einen zweiten Computer und erledigt das. Er braucht eine Stunde.«
»Das widerspricht dem, was er gesagt hat, als er das System installiert hat.«
»Er will die anderen Computer in Ihrem Haus ebenfalls untersuchen. So schnell wie möglich. Er sagte, dort könnten genauso gut auch noch ... Viren sein. Oder Würmer.«
»Glück gehabt, keine Flöhe«, sagte ich zu Kasimir, der im Türrahmen stand, frisch nach Hundeshampoo duftete und aussah, als wäre er über diese Auskunft sehr erleichtert.
»Wann kommt Herr Sam wieder?«
»Später. Was verlangt er?«
»Er möchte das Pferd behalten, den neuen Computer müssten Sie bezahlen. Die Arbeitszeit nicht. Sie helfen ihm doch, nicht wahr?«
»So gut es geht. Er steht sich selbst im Wege. Ist die Anlage benutzbar?«
»Kameras und Mikrofone ja, der Computer auch. Aber das Kabel nicht. Das andere, nicht das graue«
»Kein Internet.«
»Nein, kein Internet. Bis der andere Computer hier ist. Sie verwirren ihn.«
»Das brauche ich nicht.«
»Das Internet?«
»Sam verwirren. Er hat einen Magnet neben seinem Kompass. Er verwirrt sich
Weitere Kostenlose Bücher