Tödliches Orakel
übergeben die CD, er dankt Ihnen für Ihre Mühe.«
»Wirklich?«
Ich lächelte noch immer, und es tat mir gut, diese Worte auszusprechen. Weil es schön war, die Erleichterung in Sams Gesicht zurückkehren zu sehen, weil es schön war, ihn so glücklich zu sehen. Er hatte eine Woche auf diese Absolution gewartet, und wer war ich, dass ich ihm das kaputtmachen würde? Außerdem sagte ich ihm gerade nichts, was nicht stimmte, ich sagte nichts als die reine Wahrheit.
»Ja. Sam, Sie haben es geschafft. Sie werden am 10. August nicht erschossen, Sie werden diesen Tag überleben.«
Tag 8 – Montag, 7. August
»Er sagt, Sie sollen Ihr Telefon wieder einschalten.«
»Sagen Sie ihm, mein Telefon sei eingeschaltet. Und die Menschen, mit denen ich sprechen möchte, könnten mich auch erreichen. Sie reden ja gerade mit mir.«
»Sie müssen es ihm selbst sagen. Er ruft mittlerweile jede Stunde an.«
»Gehen Sie einfach nicht ran.«
Frau Berger schwieg und ich ahnte, dass es nicht nur Sam war, der ihr Sorgen machte. Ich war es, die sich komisch benahm – soweit das denn überhaupt möglich war, denn so richtig normal hatte sie mich noch nie erlebt. Dabei tat ich eigentlich nur, was ich immer tat, aber scheinbar tat ich es anders.
»Reden Sie mit ihm«, bat Frau Berger, »dann ist Ruhe. Er ist nicht zufrieden. Unglücklich geradezu.«
»Er hat bekommen, was er wollte. Sogar umsonst. Mehr kann ich nicht tun.«
»Er sagt, er besucht Sie. Wenn Sie ihn nicht anrufen.«
»Sagen Sie ihm, ich wäre nicht da.«
»Er weiß, dass Sie immer da sind.«
»Er glaubt, er weiß alles. Ich gehe jetzt schwimmen.«
Ich warf das Telefon neben mein Handtuch, sprang in das frisch ausgetauschte, von Tobias totem Körper gereinigte Wasser und kraulte zehn Bahnen hin und her. Als ich mich danach an den Beckenrand hängte, saß Sam auf der Liege, neben meinem Handtuch und meinem Telefon. Dem Telefon mit der neuen Nummer – die jetzt wahrscheinlich schon nicht mehr geheim war, wenn ich Sam richtig einschätzte.
»Das ist Hausfriedensbruch«, sagte ich etwas atemlos, Sam stand auf und brachte mir das Handtuch.
»Sie haben einen kleinen Tick, oder?«
Ich stemmte mich aus dem Becken, nahm das Handtuch und fragte mich, welchen Tick genau er wohl meinte. Ich hatte diverse.
»Weiß«, präzisierte er bereitwillig und ersparte mir die Nachfrage. »Alles ist Weiß. Haus, Möbel. Handtuch, Bikini. Badesandalen. Nur weiße Blumen. Sie selbst sind auch so hell. Ihre Haare. Ihre Haut.«
»Ihr Kaugummi war ebenfalls mal weiß«, ergänzte ich, nachdem ein kurzer Blick auf sein Gesicht mich bis hinter seine Schneidezähne transportiert hatte. »Jetzt ist es gelbgrau und es hängen Stückchen von dem Apfel drin, den Sie davor gegessen haben.«
Sam zog ein Taschentuch aus der Hose und spuckte das Kaugummi hinein.
»Tut mir leid. Ich werde es lernen.«
»Das ist nicht nötig.«
Wozu wollte er lernen, wie er sich in meiner Gegenwart zu verhalten hatte? Unsere Beziehung war eine rein geschäftliche gewesen. Gewesen, denn sie war beendet. Mit dem gestrigen Abend, mit der Lösung seines Problems.
»Ihre Freundin macht sich Sorgen um Sie«, sagte Sam. »Und ich auch.«
»Meine Freundin ist beunruhigt, weil Sie sie belästigen. Sie glaubt, ich hätte ein Problem – aber mein Problem sind Sie. Wenn Sie endlich gehen, geht auch mein Problem.«
Ich trocknete mich ab.
»Frau Berger hat mich zum Kaffee eingeladen. Und sie sagt, Sie wären nicht mehr Sie selbst. Sie wären unkonzentriert. Abwesend.«
»Hat Frau Berger Sie angerufen?«
»Nein.«
»Hat sie Sie hergebeten?«
»Nein.«
»Also haben Sie sich selbst zum Kaffee eingeladen.«
Sam wand sich ein wenig. »Streng genommen ja.«
»Und warum haben Sie das getan? Sind Sie nicht mit dem zufrieden, was Sie erfahren haben?«
»Nein, bin ich nicht.«
»Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie leben werden. Und das ist die Wahrheit. Also freuen Sie sich, gehen Sie nach Hause. Lassen Sie mich in Ruhe. Mich und Frau Berger.«
Ich wickelte mir das Handtuch um den Körper, setzte mich auf die Liege, um meine Sandalen anzuziehen und bemerkte grün-braune Kratzer auf meiner Mauer: Scheinbar war Sam durch die Beete draußen getrampelt, bevor er drübergeklettert war.
»Das ist Sachbeschädigung«, sagte ich, aber Sam kreiste wie immer um sein eigenes, kleines Leben.
»Ich will wissen, was Sie wirklich gesehen haben.«
»Ich habe Ihnen gesagt, was ich gesehen habe. Und ich lüge nicht. Niemals.«
Schon
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