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Tödliches Orakel

Tödliches Orakel

Titel: Tödliches Orakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Sabalat
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wäre. Aber ich wusste nicht, was ich sonst noch hätte sagen sollen. Wie ich die immer gleiche Aussage anders hätte formulieren sollen, damit er es endlich akzeptierte. Damit er ging.
    »Dann ... danke«, sagte er schließlich. »Für deine Geduld.«
    Ich nickte, er wandte sich zum Gehen. Ich sah auf seine kastanienbraunen Haare, die in der Sonne glänzten, seine langen Beine, seinen schlanken Körper: Er war eine hübsche Abwechslung gewesen, keine Frage.
    Sam ging bis zur Mauer, zog sich hoch – und drehte sich noch einmal um, als er rittlings auf dem Rand saß. Ich schlug die Augen nieder, eben noch rechtzeitig.
    »Wenn du dein Geld doch noch haben willst, dann sag Bescheid. Für einen frischen Anstrich der Mauer oder so. Du hast ja meine Nummer. Ruf an, ja?«
    Ich nickte und wusste, dass ich das niemals tun würde.

Tag 9 – Dienstag, 8. August
     
    Einen Tag später war er zurück. Saß neben meinem Pool, diesmal aber schon, als ich im Badeanzug aus dem Haus kam. Hätte ich erneut mit Kasimir gewettet, hätte ich verloren: Ich hatte nicht mehr mit Sam gerechnet, hatte gedacht, dass ich ihn genug beruhigt, genug besänftigt hatte. Dass ich das richtige Lächeln aufgelegt, die richtigen Worte gefunden hatte. Aber scheinbar war mein neuster Stammkunde nicht so leicht zufriedenzustellen.
    »Ich überlebe den 10. August«, sagte er, als ich mein Handtuch neben ihm ablegte. »Gut, das glaube ich dir. Und den 11., 12. und 13. August? Dieses Jahr? Du hast nur gesagt, ich würde nicht mehr bedroht. Nichts von Sterben. Oder umgebracht werden.«
    Ich sprang in das Becken und kraulte meine Bahnen ab. Während ich schwamm, dachte ich nach, denn ich war unentschieden. Und Sam verdammt hartnäckig.
    »Ich kann es Ihnen nicht sagen«, sagte ich, als ich mit milde zitternden Gliedern auf dem Beckenrand hockte.
    Sam stutzte, dann nickte er. Langsam und begreifend.
    »Weil du es nicht weißt.«
    »Richtig.«
    »Weil du nur bis zum 10. August gesehen hast.«
    »Ja.«
    »Aber warum denn nur? Sieh mich doch an, ich bin gleich hier. Ohne Kaugummi. Gegessen habe ich auch nichts, nur für dich. Sieh einfach nach. Bitte.«
    Ich lächelte, hob den Blick, versuchte, nur seine türkisfarbenen Augen zu sehen und schaffte es für ein paar kostbare Sekunden, auf der Oberfläche zu bleiben. Alle wollen unter die Haut sehen, dachte ich, alle wollen wissen, wie der Mensch wahrhaft ist – und ich würde so viel dafür geben, einfach nur mal eine Minute dieses Gesicht ansehen zu können!
    Ich wandte den Blick ab, bevor Sams Zukunft sich vor mir ausbreiten konnte. Und die meine.
    »Es tut mir leid, aber ich kann nicht«, entgegnete ich. »Ich sehe nichts mehr von Ihnen, was nach dem 10. August liegt.«
    »Und ... warum nicht?«
    Ich rappelte mich auf, wickelte mir mein Handtuch um, wandte mich zum Haus. Sam ließ mich gehen, aber ich spürte seinen Blick in meinem Rücken.
    »Weil ich an diesem Tag sterben werde«, sagte ich, als ich die Terrasse erreicht hatte.
    »Was? Wie meinst du das?«
    Ich hörte, wie er hinter mir herkam und blinzelte über die Schulter: Sein Gesicht war verwirrt. Fassungslos. Er schloss schnell auf, griff wieder nach meinem Arm, ich drehte mich weg.
    »Wenn ich in Sie hinein sehe, sehe ich, wie Sie mich in Ihr Auto schleppen. Sterbend. Ich habe zwei Kugeln in der Brust, Blut läuft mir aus dem Mund. In der aktuellen Version Ihres Lebens werde ich am 10. August erschossen, nicht Sie. Jetzt gehen Sie nach Hause und sehen Sie zu, dass Sie die Leute kontaktieren, die diese CD wollen, dann sind wenigstens Sie aus dem Schneider. Wenn Sie das nicht tun, ändern Sie die Zukunft, und die Schüsse treffen vielleicht doch wieder Sie.«
    Ich ging an Sam vorbei, ohne ihn noch einmal anzusehen, ohne wissen zu wollen, was er mit dieser Information anfangen würde. Als er aus seiner fassungslosen Starre erwacht war, hatte ich die Tür bereits hinter mir geschlossen. Ich lehnte mich mit dem Rücken an das kühle Holz, während er von außen dagegen trommelte und nach mir rief, und als er irgendwann erschöpft schwieg, ging ich duschen.

 
     
     
     
     
    Eine Sibylle war in der griechischen, aber ansatzweise auch in der römischen Mythologie eine Prophetin, deren Besonderheit darin lag, dass sie die Zukunft unaufgefordert weissagte. Wie schon bei den Pythien gab es nicht eine Sibylle, vielmehr war Sibylle ein Sammelbegriff für weissagende Frauen. Die antiken Sibyllen waren nicht institutionalisiert wie die Pythien im Tempel von

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