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Tödliches Orakel

Tödliches Orakel

Titel: Tödliches Orakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Sabalat
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Sams Gesicht.
    »Ist es so schlimm, dass du sterben möchtest?«, fragte er. »Dieses ... Sehen?«
    »Nein. Nicht mehr.«
    »Warum dann? Warum willst du nicht mehr leben, warum willst du dich von diesen Arschlöchern umbringen lassen? Wir müssten uns doch nur noch mal hinsetzen und eine andere Lösung finden. Eine Stunde oder zwei.«
    »Was für eine Lösung?«
    »Eine, bei der niemand erschossen wird. Oder überhaupt getötet. Es kann ja eine ganz Einfache sein – eine, bei der ich unmöglich am 10. August bei dir wäre.«
    »Sam, bitte ...«
    »Komm schon«, beharrte er, »so schwer ist das doch nicht. Ich könnte mir zum Beispiel einen Flug buchen. Du hast gesagt, ich bin dabei, wenn du stirbst. Und ich bin ja auch der Grund, oder? Wenn ich Tausende von Kilometern weg bin, bist du in Sicherheit.«
    »Nein.«
    »Lass es uns versuchen.« Sam zog sein Handy aus der Hosentasche. »Hier ist ein Flug, Sydney, über Dubai. Online buchen.«
    Ich trocknete mich ab, Sams Finger huschten über den Bildschirm.
    »Okay, bestätigt. Ich fliege morgen nach Australien und komme erst am 15. August zurück. Ich bringe dir einen Koala aus Stoff mit. Oder einen Kiwi aus Plüsch.«
    »Sie werden nicht nach Australien fliegen«, sagte ich.
    »Oh doch.«
    »Nein. Sie werden dieses Flugzeug nicht betreten. Und ich muss kein Seher sein, um das zu wissen: Es gibt einen Pilotenstreik, weltweit, wegen dieser Entführungssache in Algerien. Tut mir leid, dass ich auf meiner Terrasse keinen Fernseher habe und die bösen Buben Ihren geklaut haben, sonst hätten Sie davon gewusst.«
    Sam ließ die Hände sinken, sie hingen kraftlos in mein Blickfeld.
    »Warum willst du nichts ändern? Warum willst du auf diese Schüsse warten? Sag es mir. Bitte.«
    Ich lächelte auf seine bloßen Füße hinunter: Die Turnschuhe hatte er auf der Terrasse gelassen, als wäre er jetzt hier zuhause.
    »Ich habe nicht nur meinen Tod gesehen. Ich habe zum ersten Mal etwas Entscheidendes, etwas Wichtiges gesehen, das mich selbst betrifft. Und ich will wissen, ob es wahr ist. Ob ich es wirklich ... kann.«
     
    ***
     
    Meine Terrasse war für mich unbenutzbar, denn dort wohnte Sam mittlerweile: Zu dem Schlafsack hatte sich ein Buch gesellt, eine Flasche Wasser, ein paar Äpfel und Schokoriegel, eine Schachtel Zigaretten. Sam sah in den Garten, las, aß, rauchte, verschwand in regelmäßigen Abständen über die Mauer – und ich zweifelte nicht daran, dass er in dieser Zeit von Frau Berger verköstigt wurde. Ich tat mein Bestes, um Sam trotz Glasfront zu ignorieren. Im Wetterbericht kündigten sie für die Nacht einen Sturm an, der die Hitze zumindest für ein paar Stunden beenden sollte, aber ich beschloss, Sam nicht zu warnen: Wenn es zu regnen begann, würde er sich schon verziehen. Als ich das letzte Mal in ihn hinein gesehen hatte, war er während des Sturms nicht auf meiner Terrasse gewesen, sondern in seiner Wohnung, wo der Wind an den Rollläden gerüttelt hatte. Ich hielt es trotzdem für unwahrscheinlich, dass ihm irgendetwas passieren würde – mal abgesehen von feuchten Klamotten.
    Der Sturm kam pünktlich. Um elf grollte Donner, Blitze zuckten über den Himmel und es ging ein mit Hagel durchsetzter Monsun nieder, der die Blätter der Büsche und Blumen zerfetzte und meinen Rasen binnen Minuten in einen See verwandelte. Sam zog sich den durchweichten Schlafsack über den Kopf, machte aber keine Anstalten, in sein entstelltes Auto zu steigen und von dannen zu fahren. Ich sah durch die Kamera zu, wie sich die Hagelkörner in den Falten des Schlafsacks sammelten, wie der Wind den Stoff an Sams Körper presste. Als er eine halbe Stunde in diesem Inferno durchgehalten hatte, ging ich hinunter und hinaus auf die Terrasse. Der Sturm peitschte mir scharfe Eiskörnchen, kleine Zweige und nasse Blätter an den Körper, ich musste Sam an der Schulter fassen und schütteln, damit er mich in diesem Lärm überhaupt bemerkte.
    Er schälte sich aus dem klatschnassen Stoff, blinzelte zu mir hoch.
    »Sie sind ein Idiot«, brüllte ich, um den Sturm zu übertönen, er zuckte mit den Schultern.
    Ich starrte auf ihn hinunter, registrierte, dass Frau Berger ihm zum Abendessen einen Fisch gemacht hatte. Mit Blattspinat und Kartoffeln. Ich beschloss, Sam hereinzulassen. Dann wird er morgen nicht bei Frau Berger frühstücken, sondern bei dir, erkannte ich. Und er wird dich küssen. Heute Nacht. Ich stoppte dieses Sehen, mehr wollte ich gar nicht wissen. Ich beschloss, Sam nicht

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