Tödliches Orakel
würdest du dich von diesen Leuten nicht wissentlich so benutzen lassen. Du steckst nicht mit denen unter einer Decke.«
»Und woraus leitest du das ab?«
»Sie haben Tobias in deinen Pool geschmissen«, antwortete Sam, »und das ist echt heftig. Das bringt dich in ganz schöne Schwierigkeiten.«
»Wieso? Du hast ihn doch weggebracht. Und ich habe eine Videoaufzeichnung, die einen Mann zeigt, der ihn zu mir bringt. Gut, ich habe nicht die Polizei gerufen, aber sonst? Ich sehe da kein großes Problem.« Ich verschränkte die Hände vor der Brust. »Und weißt du was?«, fuhr ich fort. »Du könntest dieser Mann gewesen sein, denn er war vermummt. Du könntest Tobias getötet und bei mir abgeladen haben.«
»Habe ich aber nicht«, schnappte Sam, hob dann aber sofort in einer befriedenden Geste die Hände. »Okay, Gleichstand. Du könntest die Böse sein, ich könnte der Böse sein. Bist du es?«
Sam klang mal wieder, als rechnete er mit einer ehrlichen Antwort, die alle Zweifel ausräumen würde. Ich erwiderte ein simples 'Nein', mehr konnte ich nicht für ihn tun – ich hätte gar nicht gewusst wie, wenn ich denn gewollt hätte.
»Ich auch nicht«, sagte er.
»Aber wir wollen trotzdem festhalten, dass das Ganze hauptsächlich dein Problem ist.«
»Die wollen dich abknallen. Wir stecken beide im gleichen Sumpf.«
Ich nickte, allerdings widerstrebend. Öffnete den Kühlschrank, nahm eine Flasche heraus.
»Wein?«
Ich sah Sam über die Hochglanzoberfläche meiner Küche lächeln.
»Trinken ist okay?«
»Nichts mit Kohlensäure, keine Milch.«
»Dann gerne. Den Wein.«
Ich schenkte zwei Gläser ein. Draußen knallte ein Blitz wie ein Peitschenhieb durch die Luft, aber das Prasseln des Hagels hatte aufgehört. Jetzt regnete es umso stärker, dicke, schwere Tropfen, die vom Wind fast waagrecht durch die Luft geschossen wurden.
Sam schlenderte um meine Kochinsel, fuhr mit dem Finger über die schwarze Arbeitsplatte.
»Materialisiert sich das Essen auf Knopfdruck oder kann man hier drin tatsächlich kochen?«
»Gab's bei Frau Berger nicht genug?«
»Ich wollte nichts essen. Ich wollte Konversation machen.«
»Ah. Geh doch hinüber ins Wohnzimmer, dort gibt es bestimmt noch ein paar Sachen, die ich gekauft habe, weil sie mir gefallen, und die du niedermachen kannst.«
Er lachte, nahm sein Glas und verschwand in dem Durchgang. Meine Schlafanzughose war ihm ein paar Zentimeter zu kurz, die Ärmel der Bluse ebenso. Ich sah ihm hinterher und fühlte ein Kribbeln im Magen, das ich nicht genau einordnen konnte. Es war spannend, ihn hier zu haben. Nicht nur irgendeinen Menschen hier zu haben, sondern Sam. Warum? Ich wusste es nicht, wollte es auch gar nicht ergründen – er war heute noch hier, eine Verlängerung würde es nicht geben. Und damit keinen Grund für mich, groß über meine Gefühle nachzudenken.
Ich stellte den restlichen Wein zurück in den Kühlschrank und folgte Sam. Er blätterte gerade in dem neuen Japan-Bildband, der als Ausdruck meiner Sehnsucht einen Ehrenplatz auf einem Buchständer bekommen hatte.
»Dein nächstes Reiseziel?«
»Nein. Einfach nur ein Buch mit schönen Bildern.«
Sam betrachtete ein Foto der Skyline von Tokio, dann das vom Fujiyama im Morgenlicht.
»Wie wär's? Wir packen und fliegen nach Japan. Für den Flug nach Australien habe ich von der Fluggesellschaft Meilen bekommen, weil er annulliert wurde. Wir kaufen dir noch ein Ticket und ziehen los.«
Ich schüttelte den Kopf und ließ mich auf dem Sofa nieder.
»Termine, Termine«, sagte ich, Sam zuckte mit den Schultern und umrundete dann die Plexiglassäule, die sich in der Mitte des Wohnzimmers über zwei Etagen in die Höhe schraubte.
»Und was ist das? Beam me up, Scotty?«
»Nein.«
»Die größte Luftpoströhre der Welt?«
»Nein.«
»Ein Fahrstuhl?«
»Nein.«
»Okay, ich kapituliere.«
»Ein Kamin.«
»Dann machen wir Feuer. Draußen ist Sintflut, der Strom könnte ausfallen.«
»Das Holz ist unter der Bodenklappe da links.«
Ich beobachtete über die nachtdunkle Fensterscheibe, wie Sam die Scheite aufstellte, mit den Streichhölzern hantierte. Er neigte dazu, Dinge in Besitz zu nehmen, Menschen in Besitz zu nehmen. Er hatte Frau Berger geknackt, und das nötigte mir Respekt ab, mahnte mich, vorsichtig zu sein. Ich wusste nicht, ob es mir gefiel, die Nächste zu sein, an der er seinen Charme ausprobierte. Ich wusste nicht, ob ich mich wehren sollte. Wehren wollte. Wehren konnte.
»Brennt«,
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