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Tödliches Orakel

Tödliches Orakel

Titel: Tödliches Orakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Sabalat
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nicht.«
    »Wenn du zu mir kommst, dann steigst du ins Auto. Mindestens. Leute buchen Zugfahrkarten, Flugtickets. Übernachtungen in Hotels. Und das hätten sie nicht getan, wenn es mich nicht gäbe. Ein extremes Beispiel: Ich habe mal in einer Kundin gesehen, dass sie auf dem Nachhauseweg von der Sitzung bei mir einen Autounfall haben wird. Nichts Schlimmes, nur ein arg zerbeulter Kotflügel.«
    »Ist sie wieder gekommen?«
    Ich lächelte. »Nein. Natürlich hatte sie auch den Unfall nicht, weil ich sie ja gewarnt habe.«
    »Ich find's witzig.«
    Ich musste grinsen. »Ja, es war witzig. Aber gut, das ist nur eine kleine Sache. Die Leute entscheiden sich, etwas zu tun, und beeinflussen damit schon ihr Leben. Sie kommen zu mir und verändern die Zukunft damit schon, ohne dass ich etwas sage.«
    »Verstanden. Was ist das für ein Käse?«
    Ich blickte zur Seite. »Bergkäse. Schweizer.«
    »Schmeckt. Wir könnten mal wandern gehen, wenn dir der Fujiyama zu weit ist. Ab dreitausend Meter sind meist nur wenige Leute unterwegs. Oder kannst du auch in Murmeltiere sehen?«
    Ich lachte. »Noch nie probiert. Wo war ich?«
    »Bei der Zukunft. Die sich schon verändert hat, wenn die Leute in deinem Zimmer sitzen.«
    »Genau. Ich wollte auf diese Sache mit der Objektivität raus, mit der Objektivität, die es eigentlich gar nicht gibt. Also: Ich sehe die Zukunft der Leute. Was ich sehe, das stimmt. Zu hundert Prozent. Ab diesem Moment. Aber ich muss es ihnen ja auch noch sagen, nicht wahr?«
    »Sicher.«
    »Und wie ich es sage, beeinflusst die Zukunft. Verändert sie.«
    »Aber die Leute kommen doch, weil sie etwas verändern wollen, oder?«
    »Sie wollen wissen. Verändern kommt erst danach, wenn man nicht zufrieden ist mit dem, was man erfahren hat.«
    »Ja, Frau Lehrerin.«
    Sam gab mir noch ein Bündel Trauben, ich schob mir eine in den Mund, lauschte auf Sams Kaugeräusch und das Schlucken. Leise. Erträglich.
    »Aber Veränderung ist okay. Die Leute haben jedes Recht, an ihrer Zukunft zu arbeiten. Ich dagegen nicht. Es ist ihr Leben. Und deshalb muss ich versuchen, absolut objektiv zu sehen und das, was ich gesehen habe, ganz neutral wiederzugeben. Ein Beispiel: Wenn ich einer Frau freudestrahlend von ihrer Hochzeit erzähle, wird sie den Heiratsantrag ihres Freundes sicher annehmen. Wenn ich es ihr weniger enthusiastisch verkaufe, dabei den Mund verziehe oder tadelnd mit dem Kopf schüttele, wird sie vielleicht ablehnen.«
    »Richtig. Aber das machst du ja nicht, oder?«
    »Ich versuche, es nicht zu tun. Damit sie sich selbst entscheiden können. Meistens gelingt es mir, aber bei dir habe ich versagt.«
    »Bei mir?«
    »Ja. Ich habe das Zukunftsfoto von dir gemacht und es mir angesehen. Aber in diesem Foto war eines nicht drin: wie ich dir sage, was passieren wird. Denn ich mache ja erst das Foto und erzähle dir erst anschließend, was drauf ist.«
    »Ja.«
    Ich trank einen Schluck Wein: Sam hatte meinen Chardonnay mit dem Eiswein aufgefüllt, was eigenartig schmeckte.
    »Und ich habe es dir nicht neutral genug gesagt. Ich war geschockt, weil ich mich selbst habe sterben sehen. Ich habe mich holprig rausgeredet, aber du wolltest mir glauben. Du warst so glücklich, etwas in diesem Schließfach gefunden zu haben, dass du dich hast überzeugen lassen. Du hast zwar gemerkt, dass etwas nicht stimmt, aber du bist gegangen. In deinem Zukunftsfoto war dieser Zweifel nicht drin, den habe ich hinzugefügt.«
    »Also ...« Sam hatte die Hand gehoben, ich ließ ihn nachdenken. »Also hast du in dem Moment meine Zukunft verändert, als du mir nicht sehr überzeugend gesagt hast, dass alles gut wird?«
    »Ja.«
    »Aber du hast nicht gelogen.«
    »Nein. Was deine Zukunft angeht, habe ich nicht gelogen. Nie.«
    »Also hast du aus Versehen manipuliert, weil du so erschrocken warst. Und deswegen stimmte meine Zukunft schon nicht mehr, als du sie mir erzählt hast?«
    Ich nickte. »Leider.«
    »Aber du hast mich weggeschickt.«
    »Ja. Weil ich mir sicher war, dass dein Teil so bleiben würde, wie er ist. Weil ich nicht damit gerechnet habe, dass dein Zweifel so groß ist.«
    »Mein Zweifel?« Sam lachte.
    »Sicher. Was hat dich sonst hier einbrechen lassen?«
    »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«
    »Sorgen. Um mich.«
    Ich klang ungläubig. Weil ich nicht glaubte, dass Sam so viel an mir lag.
    »Sicher! Du hast ausgesehen, als hättest du ein Gespenst gesehen. Klar, ich habe mir schon gedacht, dass du eventuell ... na ja. Nicht

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