Tödliches Paradies
Ein junger Mann stand vor ihr, offensichtlich ein Besatzungsmitglied. Er trug ein blauweiß gestreiftes T-Shirt und dunkelblaue Hosen. Das Gesicht drückte eine Mischung von Drohung und Verlegenheit aus.
»Bitte, Señora, was tun Sie da?«
»Ich will raus! Wo ist Fischer?«
»Bitte, Señora, un momento …«
Es kostete ihn nicht viel Mühe, sie zurückzustoßen. Schon schnappte der Riegel wieder zu. Sie überlegte, was sie unternehmen konnte, ging wieder zum Waschbecken, nahm einen Schluck Wasser, um das trockene Brennen in ihrem Mund zu löschen. Als sie sich umdrehte, stand die Türe offen.
»Bitte, Señora!«
Sie betrat einen beleuchteten Gang. Der Boden war mit einem senfgelben Teppich mit blauen Mustern ausgelegt. Am Ende befand sich eine gläserne Schwingtür. Sie öffnete sie. Das erste, was sie sah, war die dunkle, fast quadratische Silhouette seines Oberkörpers. Und das Licht, das seine Brillengläser reflektierten.
Er saß ihr gegenüber, auf der anderen Seite des eleganten, überraschend großen Raums, der anscheinend der Salon der Motoryacht war. Über seine Schulter hinweg konnte sie das Meer erkennen und die beiden weißen Gischtflügel am Heck. Die Motoren liefen auf hohen Touren. In dem Raum gab es bequeme Ledersessel, einen Tisch, der von zwei gleichfalls mit schwarzem Leder gepolsterten Bänken eingefaßt war. Links eine Bar, rechts eine kleine Bücherwand und davor zwei funkelnde Stahlkabel, die die ganze rechte Seite umliefen und unter Fischers Sitz endeten und deren Sinn sie nicht begreifen konnte.
Und noch etwas gab es: Das Bild einer Frau, deren nackter Körper von langem, rotgoldenem Haar verhüllt war: Es war eine Kopie oder eine Farbfotografie des Gemäldes, das sie schon auf Son Vent gesehen hatte.
»Mein Herz«, hörte sie die träge, amüsierte Stimme, »du hast dich aber rasch erholt. Ich freue mich.«
»Ja«, sagte sie wütend. »Und als ich von diesem Dreckszeug erwachte, das du mir gegeben hast, fand ich die Tür wieder abgeschlossen.«
»Dreckszeug?« Auf den zweiten Teil ihres Vorwurfs ging er nicht ein. »Aber hör, Melissa …« Wieder sein Lachen. »Gerade in deinem Fall dosiere ich mit soviel Zartheit, Erfahrung und auch Können, wenn du erlaubst, daß man von Dreckszeug wohl kaum reden kann. Du selbst bist, würde ich meinen, der Beweis dafür.«
Wieder bewegte sich der Boden unter ihr. Die Übelkeit stieg ihr erneut in den Magen. Sie hielt sich an einer der Säulen fest, die das Kabinendach trugen. »Was soll das, Fred? Wieso sind wir hier? Was hast du vor?«
Das Gesicht konnte sie noch immer nicht erkennen, doch seine Stimme war verändert. Ihren ironischen Unterton hatte sie behalten, aber nun klang sie härter, heller und entschlossen.
»Welche Antwort willst du hören, Melissa? Matusch hat dich an der Mauer erwischt. Rüberklettern, davonlaufen? Aber nein …! Wenn du mich fragst, war das ein Domestiken-Entschluß, ziemlich stillos, meine Arme …«
»Was hast du erwartet?«
»Ja, da hast du recht, mein Herz: Ich konnte, durfte nichts anderes erwarten. Noch durfte ich das nicht …«
Sein Körper bewegte sich nun, fast lautlos, und diese Bewegung war begleitet von dem leisen Summen eines Elektromotors. Wie ein Kartonsoldat auf einem Jahrmarkts-Schießstand glitt er auf den Tragkabeln die Kabine entlang. Der Anblick war beklemmend und unheimlich. Kurz vor ihr kam er zum Stehen. Nun sah sie sein Gesicht. Er lächelte nicht. Die Augen hinter den Brillengläsern waren schmal.
»Gut, vielleicht sind wir quitt. Es war die zweite Spritze. Und Injektionen sind nie angenehm, auch nicht so schwache, wie du bekommen hast.« Er lachte leise, und es war kein gutes Lachen. »Ich habe dich überfordert, nicht wahr, mein Herz? Es wird sich ändern. Jetzt wird alles anders sein …«
»Und was wird anders sein?«
»Nun, wie soll ich sagen? Nennen wir es die Voraussetzung unseres Zusammenseins, Melissa.«
»Die Voraussetzung?«
»Aber sicher. Siehst du, vielleicht habe ich einen großen Fehler begangen, dich zuerst nach Son Vent zu bringen. Ich wollte das Gut ohnehin für einige Wochen oder Monate – nun, sagen wir mal, nicht mehr sehen … Und dafür gibt es verschiedene Gründe … Sie brauchen dich nicht zu interessieren. Oder tun sie das?«
Eine rhetorische Frage, wie meist. Es erübrigte sich, ihn nach Gründen zu fragen. Schon sein Blick, dieser wachsame, lauernde Blick sagte es ihr.
»Na, jedenfalls, ich hatte die Absicht, gleich mit dir auf das Schiff zu
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