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Tödliches Rätsel

Tödliches Rätsel

Titel: Tödliches Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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ein Armbrustbolzen mit Widerhaken saß tief in seiner Brust. Er wälzte sich auf die Seite und schaute zur Tür, aber er konnte unmöglich die zahlreichen Riegel zurückschieben oder die Schlüssel in den drei großen Schlössern umdrehen. Drayton schloß die Augen und ächzte. Er war immer so stolz gewesen auf diese Tür. Sechs Zoll dick, mit stählernen Angeln, außen von starken Messingnägeln geschützt — für ihn erwies sie sich nun als tödlich. Er hatte sich stets sicher geglaubt, hier unten in seinem Kontor. Hier konnten keine Diebe einbrechen, und keiner seiner habgierigen Schreiber konnte sich nehmen, was der Geldverleiher im Laufe der Jahre zusammengetragen hatte. Keine Fenster. Nicht einmal eine Schießscharte. Und am Ende erwies sich nun alles als nutzlos. Drayton, ein alter Soldat aus den Frankreich-Kriegen des Königs, wußte, daß er sterben würde. So seltsam — hier in dieser Gewölbekammer. Er starrte auf die Wand am hinteren Ende. Vielleicht war es richtig so. Die Gerechtigkeit hatte ihn eingeholt. Er schloß die Augen. Die Beine und die Füße wurden ihm so kalt.
    Wie Chapler, versuchte auch Drayton zu beten, aber ihm fielen nur die Worte aus der Heiligen Schrift über jenen reichen Mann ein, der seine Scheuern gefüllt hatte und sich nun auf ein Leben des Schmausens und der Fröhlichkeit freute. »Narr!« hatte Gott da gedonnert. »Weißt du denn nicht, daß der Ruf erging nach deiner Seele?« Drayton murmelte ein Gebet. Er hatte noch Zeit, Gott um Verzeihung zu bitten, aber wie stand es mit dem anderen Verbrechen? Drayton drehte sich auf die andere Seite. Mit all seinen schwindenden Kräften versuchte er, zur hinteren Wand zu kriechen und sie zu berühren. Ja, wenn er sie berühren könnte, dann könnte er um Vergebung bitten. Aber er war nur ein paar Handbreit vorangekommen, als der Schmerz ihn überwältigte. Kälte strömte in seinem Körper herauf, und Bartholomew Drayton gab seine Seele auf.
     

 
     
    Sir John Cranston, der Coroner der Stadt London, balancierte seine Leibesfülle auf einem Schemel, schob die Biberfellmütze in den Nacken und wischte sich über das rote, glänzende Gesicht. Zu gern hätte er den wunderbaren Weinschlauch unter seinem Mantel hervorgezogen, aber er war nicht sicher, in welcher Stimmung sein Secretarius war, der Dominikanerbruder Athelstan, der am anderen Ende des Zimmers saß. Athelstan war still — noch stiller als sonst. Das schmale, olivhäutige Gesicht unter dem schwarzen Haar mit der Tonsur war regungslos, und seine sonst lächelnden Augen blitzten ziemlich streng. Er hatte die Hände in die Ärmel seiner weißen Kutte geschoben und nagte an der Unterlippe.
    Er ist nicht gern hier, dachte Cranston. Er wäre lieber drüben am anderen Ufer in St. Erconwald, bei seiner verdammten Pfarrgemeinde. Der Coroner betrachtete die Miene des Freundes aufmerksam. Athelstan hatte noch nicht einmal Zeit gehabt, sich zu rasieren oder zu frühstücken. Er hatte eben die Morgenmesse gelesen, als Cranston ihn gerufen hatte.
    »Du mußt kommen, Bruder«, hatte der Coroner gedrängt und auf den großen Kater gedeutet, der mit Athelstan in der Kirche ein und aus ging. »Bonaventura kann St. Erconwald bewachen. Wirf dem alten Philomel ein bißchen Heu vor. Ich möchte ein Geheimnis aufdecken, welches sogar deinen Verstand auf eine harte Probe stellen wird. Der meine ist jedenfalls ratlos.«
    Athelstan war schnell und schweigend gefolgt, und sie waren über die London Bridge und durch das Gedränge zum Haus des Wucherers Bartholomew Drayton in der Ratcat Alley marschiert.
    »Erzähle es uns noch einmal.« Cranston winkte seinen obersten Büttel, Henry Flaxwith, heran.
    Der Mann prustete geräuschvoll.
    »Ich weiß, ich weiß«, sagte Cranston zuckersüß. »Aber Bruder Athelstan muß alle Tatsachen erfahren. Wir wären alle lieber anderswo. Aber Drayton ist ermordet worden, und eine Menge Silber ist verschwunden.«
    »Es ist so, Sir John«, begann Flaxwith. »Heute früh, lange bevor es zur Morgenandacht läutete, waren ich und Samson…«
    »Zur Hölle mit ihm!« unterbrach Cranston. »Ich will nichts von deinem verdammten Köter hören.«
    »Ich und mein Hund«, fuhr Flaxwith unerschütterlich fort, »waren auf meinem dienstlichen Rundgang. Samson nun…« Er zwinkerte Athelstan zu. »Samson…«, intonierte er, ohne auf Cranstons verdrossenen Seufzer zu achten, »geht immer sehr langsam, bleibt gern stehen, schnuppert und hebt das Bein. Ich hatte mir eine Aalpastete

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