Tödliches Vermächtnis - Lethal Legacy
kann ihr zum jetzigen Zeitpunkt Glauben schenken.«
»Was mich stutzig macht, ist das ›wollte‹. Er war stundenlang bei ihr. Die Gelegenheit hatte er also allemal.«
»Sie sagt, sie hat sich tot gestellt, Coop. Wenn sie flach genug geatmet hat, dachte der Täter vielleicht wirklich, dass er sie umgebracht hätte. Vielleicht ist er deshalb so überstürzt aus dem Haus gerannt.«
»Das erklärt noch immer nicht seine Verkleidung.«
»Ich sage ja nur, dass du sie anrufen solltest. Du bist diejenige, die Händchen hält. Du bist doch sonst immer so gut darin, deinen Opfern Beistand zu leisten.«
Mercer und ich arbeiteten gerne mit den Opfern sexueller Gewalt zusammen; wir halfen ihnen dabei, ihr Trauma zu verarbeiten, und wir sorgten auch dafür, dass der Täter seine gerechte Strafe bekam. Mike war die finale Endgültigkeit von Todesermittlungen gewohnt. Keine Ambivalenz des Opfers gegenüber dem Täter, keine skurrilen Charaktere, die man beschwichtigen und streicheln musste. Leichen und Tatorte mochten Pathologen und Polizisten Rätsel aufgeben, aber im Gegensatz zu lebenden Personen logen sie nicht.
Laura stand mit den Kopien in der Tür. »Mattie hat gerade angerufen. Sie springt so schnell wie möglich in
ein Taxi. Soll ich ihr sagen, dass sie gleich in den Gerichtssaal gehen soll?«
»Gute Idee, Laura. Danke.«
Auf meiner Telefonkonsole leuchtete das rote Lämpchen auf, und der Summer surrte. Paul Battaglia, seit über zwanzig Jahren Bezirksstaatsanwalt von New York, war mit jedem seiner Abteilungsleiter über eine Hotline verbunden. Er wartete nicht gerne, wenn er nach Antworten auf die Fragen von Reportern, Politikern, Rivalen und besorgten Bürgern suchte.
»Ja, Paul?«
»Ich brauche zehn Minuten Ihrer Zeit«, sagte Battaglia. »Der Bürgermeister will meine Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf wissen, über den wir gesprochen haben.«
»Ich komme, sobald ich meine Beweisführung vor Richter Moffett beendet habe.«
»Ich brauche Sie sofort, Alexandra. Ich muss ins Rathaus und bin schon spät dran. Sie wollen doch wohl nicht den Bürgermeister warten lassen.«
4
Rose Malone, Battaglias Assistentin und meine getreue Freundin, winkte mich in sein Büro, ohne mich über die Gegensprechanlage anzukündigen. Das Ausbleiben einer freundlichen Begrüßung ihrerseits verriet mir, dass der Bezirksstaatsanwalt nicht in bester Laune war.
»Wo stehen wir in dieser Halloween-Angelegenheit, Alexandra?« Battaglia hatte mich gerufen, um mit mir
über einen im Stadtrat kontrovers diskutierten Legislativvorschlag zum Umgang mit Sexualstraftätern zu sprechen. Als ich sein Büro betrat, ging er von seinem Schreibtisch zu dem großen Konferenztisch im hinteren Bereich. »Haben wir schon entschieden, welche Position wir dazu einnehmen?«
»In unserem letzten Gespräch noch nicht.«
»Setzen Sie sich«, sagte er, eine lange, kalte Zigarre zwischen den Zähnen. »Bis Halloween sind es nur noch ein paar Wochen, stimmt’s?«
Ich bejahte.
»Vermutlich will der Bürgermeister sich nur in Szene setzen und zeigen, dass er mehr Mumm in den Knochen hat als ich. Was hat er vor?«
»Ich habe den Entwurf gelesen. In einem halben Dutzend Bundesstaaten und vielen Kommunen sollen in dieser einen Nacht des Jahres bestimmte Auflagen für registrierte Sexualstraftäter gelten. In manchen Gemeinden müssen sie am Halloween-Tag einen vierbis fünfstündigen Erziehungskurs besuchen. In Virginia müssen sich alle Sextäter zwischen sechzehn und zwanzig Uhr abends bei ihren Bewährungshelfern melden, damit sie nicht die Tür öffnen, wenn die Kinder mit der Bitte um Süßes oder Saures von Haus zu Haus ziehen. Dieses Modell will der Bürgermeister auch bei uns einführen.«
»Und was soll ich davon halten?« Battaglia war ein Vollblutpolitiker und schenkte seinen Führungskräften so viel Vertrauen, dass er uns an wichtigen Entscheidungen teilhaben ließ. Er besaß aber auch ein Elefantengedächtnis und merkte sich jeden Fehler.
»Dass es zwecklos ist.«
Er schob seine Brille auf die Stirn. »Maßnahmen gegen Triebtäter mit Rückfallgefahr gehören zu den
Hauptanliegen der Justiz. Und dieser Feiertag führt diese Perversen ja regelrecht in Versuchung, Kontakt zu Kindern aufzunehmen. Die Kinder klopfen an die Tür, bitten um Süßigkeiten und Gott weiß, was ihnen dann passiert.«
»Es ist nur ein Abend im Jahr, Chef. Würde die Legislative endlich den bereits existierenden Gesetzen mehr Biss verleihen, dann könnte die Polizei
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