Töte, Bajazzo
sah kein Licht, die Finsternis hielt das Haus außen und innen umfangen.
Einsamkeit, verlassen sein… jetzt merkte sie, was das bedeutete. Und sie sah den hellen Fleck.
Beinahe zum Greifen nahe schwebte das Gesicht vor ihr. Sie sah die Tränen aus den Augen rinnen und konnte jede schwarze Perle zählen, die dem Bartgestrüpp entgegenlief.
Was mußte sie noch durchstehen, bis sie das bittere Ende erreicht hatte?
Das Gesicht bewegte sich nicht. Es schaute auf die zitternde Gestalt, und es sah auch, wie Mirella den Arm ausstreckte und die Finger bewegte, als wollte sie es zu sich heranziehen.
»Wer bist du?« keuchte sie. »Warum quälst du mich? Bist du ein Geist? Bist du der Gruß eines Toten…?«
Mirella konnte nicht fassen, daß sie eine Antwort erhielt. Aber das Gesicht redete, und die Worte wehten ihr entgegen, sehr schwer für sie, alles zu verstehen.
»Ich habe gelitten. Ich habe erlebt, was es heißt, den Schrecken und all die Hoffnungslosigkeit zu erleben. Ich war am Ende, ich habe mich so verlassen gefühlt. Du hast mich verlassen, und ich wußte nicht mehr, wohin ich gehen sollte. Das Leben hatte für mich keinen Sinn mehr, deshalb konnte ich nicht länger auf dieser Erde bleiben. Ich habe es mir genommen, ja, ich habe mir mein Leben genommen, aber ich wußte, daß ich dich besitzen würde, auch wenn darüber Jahre vergehen. Ich habe an alles gedacht, meine Geliebte, an alles…«
Mirella hatte sich von der eigenen Angst befreien und den Worten lauschen können. Je länger sie zugehört hatte, um so mehr war ihr zu Bewußtsein gekommen, wer sich hinter der Maske verbarg.
Es war Franco Romero!
Nur er hatte damals so schrecklich gelitten. Sie war siebzehn gewesen, er drei Jahre älter. Er hatte sie angebetet, er war so verliebt gewesen wie Romeo in seine Julia.
Im Gegensatz zu diesem Paar jedoch war er allein in den Tod gegangen, denn seine Julia hatte ihm die kalte Schulter gezeigt und an sich gedacht.
Mirellas Hände berührten die Wangen, als könnten sie ihr den nötigen Schutz geben. »Aber… aber was hätte ich denn tun sollen?« flüsterte sie in die Leere der Dämmerung hinein. »Was… was hätte ich machen sollen? Ich war so jung, ich hatte eine wunderschöne Stimme. Sie… sie mußte ausgebildet werden…«
»Ich wäre bei dir geblieben.«
»Wie denn? Du warst so jung. Du bist ein Nichts gewesen. Du hast noch kein Geld verdient. Du hättest dich nicht einmal selbst ernähren können, wie auch mein Vater sagte.«
»Ich kenne deinen Vater.«
»Hat er denn nicht recht gehabt?«
Das Gesicht ging nicht auf die Frage ein. »Ich habe getan, was ich tun mußte…«
Auf einmal war das Messer wieder da. Es schwebte über dem bleichen Geistgesicht, und an seiner Klinge herab rann das Blut in langen, trägen Schlieren.
Noch einmal ließ sich Mirella die letzten Worte durch den Kopf gehen. Er hatte getan, was er tun mußte. Was hatte er denn getan? Er hatte sich gerächt! An wem?
Nicht an ihr, aber es gab noch andere Personen, die gegen eine Verbindung gewesen waren. Ihre Eltern standen da an erster Stelle. Sie hatten nur das Wohl ihrer Tochter im Sinn gehabt.
Mirella spürte die Schmerzen, als sie die Haut der Wangen zwischen ihren Fingern zusammendrückte. Das Herz klopfte schneller. Die Angst war wie ein rasender Wasserfall, der plötzlich durch ihren Körper toste.
Das bleiche Gesicht sah sie nicht mehr, es hatte sich nach dieser Botschaft wieder zurückgezogen.
Sie schaute zum Haus hin.
Dort, genau dort war das Zentrum. Sie mußte hin, sie wollte und würde endlich die Wahrheit erfahren.
Den Koffer ließ die Frau stehen, als sie mit unsicher wirkenden Schritten den Weg hochging. Je näher sie kam, um so schneller lief sie, als könnte sie es nicht erwarten, dem Tod zu begegnen…
***
Es war die beklemmende Stille des Todes, die auch mich umfing, als ich in Reichweite des Tisches stehengeblieben war. Wegen dieser Stille hörte ich auch das leise Klatschen, das sich in gewissen Abständen wiederholte.
Ich mußte um den Tisch herumgehen, um die Ursache des Geräuschs zu finden.
Auf dem Holzboden lagen dicke Teppiche, so daß ich kaum die eigenen Schritte hörte. Unter dem Tisch war der Boden frei, und an seiner anderen Seite sah ich die zerspritzende Lache auf den Bohlen, die immer mehr Nachschub erhielt. Das Blut tropfte aus der Wunde am Hals des Toten. Die Leiche lag zwar auf dem Rücken, der Kopf aber war ein wenig zur Seite gedreht, so daß die Flüssigkeit abfließen
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