Töte mich - Osborne, J: Töte mich - Kill Me Once
Fehler – und er hatte einen dickeren Fisch zu angeln, selbst wenn sich das kleine Miststück soeben vom Haken befreit hatte.
Nathan musste hilflos mit ansehen, wie das asiatische Mädchen quicklebendig in der dunklen Nacht verschwand.
44.
Der bitterkalte Wind schnitt unbarmherzig durch Ahns Mantel, als sie über den Campus der Universität ging. Sie war mit ihren beiden Freundinnen zum Lernen verabredet. Der Wind wirbelte einen Mahlstrom aus toten Blättern und Abfall auf, der wie ein Miniatur-Tornado aussah. Jede Böe schien stärker zu sein als die vorhergehende und erinnerte Ahn daran, dass die Uni um diese Tageszeit einsam und verlassen war. Die meisten Studenten und das Personal waren längst nach Hause gefahren, um Thanksgiving mit ihren Angehörigen zu verbringen. Obwohl Ahn sich dabei ein bisschen albern vorkam, bekreuzigte sie sich zum Schutz gegen das gesichtslose Böse, das ringsum in der kalten Nachtluft lauerte.
Ahn war nicht ganz sicher, welcher religiösen Überzeugung sie nun eigentlich anhing, aber sie wollte nicht glauben, dass sie ganz allein war auf der Welt und dass es niemanden gab, der über sie wachte. Dieser Gedanke war zu schrecklich.
Ahn stieß einen dankbaren Seufzer aus, als sie zehn Minuten später endlich vor Lindseys Wohnheim stand. Rasch stieg sie die eiserne Außentreppe hinauf, wobei sie immer zwei Stufen auf einmal nahm – und ein eisiger Schreck fuhr ihr in die Glieder, als sie plötzlich auf dem Absatz direkt unter sich schwere Schritte hörte.
Sie wirbelte erschreckt herum und suchte in der Dunkelheit nach der Quelle des Geräusches, doch es gab nichts außer dem heulenden Wind. Nervös kämpfte sie gegen eine weitere kraftvolle Böe in dem Versuch, die schwere Metalltür im ersten Stock zu öffnen.
Endlich hatte sie die Tür offen und betrat den Flur, wo sie ein paar Sekunden verharrte, um die Kälte und die Furcht abzuschütteln. Schließlich atmete sie tief durch und setzte sich den Gang hinunter in Bewegung, hielt auf die Tür von Lindseys Apartment zu.
Trotz ihrer Beklemmung musste sie grinsen, als sie vor Lindseys Tür stand. Von drinnen war deutlich die lauthals schimpfende Stimme von Liza Alloway zu vernehmen. Wahrscheinlich ging es bei ihren Flüchen um die lange Liste von Rettungsmaßnahmen für Unfallopfer, die sie für ihre Abschlussprüfungen auswendig lernen mussten. Ahn selbst fluchte niemals, doch sie konnte es ihrer Freundin in diesem Fall nicht verdenken. Es war in der Tat ein sehr schwieriger Stoff.
Ahn hob eine zierliche Hand und klopfte zaghaft an. Die Tür wurde fast im gleichen Moment geöffnet.
»Annie, Baby!«, rief Liza dröhnend und versperrte mit ihrer großen Gestalt den Durchgang. »Wo hast du gesteckt, Mädchen? Schaff deinen kleinen Arsch hier rein, Tussi! Wir haben zu büffeln!«
Die vollbusige Rothaarige schlang einen mächtigen Arm um Ahns schmale Schultern und zog sie mit sich in die Wärme des Zimmers und den kleinen Zirkel der Freundinnen. Einmal angekommen spürte Ahn, wie sich die Unruhe, die sie auf dem Weg hierher verfolgt hatte, allmählich verflüchtigte wie Zigarettenrauch.
Sie war in Sicherheit. Sie war bei ihren Schwestern.
Sie lernten eine volle Stunde lang, bevor Lindsey ihr Buch abrupt zuklappte und zur Seite warf. »Ich hab Hunger!«, rief sie. »Los, plündern wir die Automaten im dritten Stock und holen uns ein bisschen Gehirnnahrung.«
»Gute Idee«, sagte Liza, und ihre hellgrünen Augen funkelten wie Smaragde bei der Aussicht auf eine verdiente Stärkung. »Ich könnte ein ganzes Pferd essen. Los, gehen wir.«
Ahn und Lindsey wechselten einen verstohlenen Blick und grinsten in dem Wissen, dass Liza am Ende den Löwenanteil der gesamten Beute vertilgen würde – was für die beiden vollkommen in Ordnung war.
Fröhlich kichernd und plappernd kramten die drei jungen Frauen in ihren Geldbörsen und brachten mehrere Dollars in Münzen zum Vorschein, mit denen sie ausgelassen zu den Automaten im dritten Stock rannten.
45.
Aus seinem Versteck in den Sträuchern entdeckte Nathan das asiatische Mädchen in hundert Metern Entfernung auf der metallenen Außentreppe eines alten, aus roten Ziegeln gemauerten Wohnheims.
Er beobachtete, wie sie eine Tür im zweiten Stock öffnete und im Innern des Gebäudes verschwand.
Fünf Minuten später öffnete Nathan die gleiche Tür und schlüpfte hindurch. Er huschte den Flur entlang und blieb vor jeder Zimmertür stehen, um zu lauschen, doch außer Stille war nichts zu
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