Töte mich - Osborne, J: Töte mich - Kill Me Once
hatte, wollte er der Beste sein. Und das wollte er um jeden Preis. Seit er ein kleiner Junge gewesen war (ein Freak, Irrer, Vollidiot), hatte er immerzu das Bedürfnis verspürt, den Ereignissen der Vergangenheit seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Die vollgekritzelte Tafel leer zu wischen und von vorne anzufangen. Die Dinge besser zu machen. Sie wieder sauber zu machen.
Auf seinem Trainingsplan für diesen Morgen standen Hügelsprints unter der glühenden kalifornischen Sonne im Griffith Park von Los Angeles. Hügelsprints waren eine Tortur, insbesondere für einen Mann in seinem Alter. Fünfundzwanzig Meter einen steilen Hang hinaufsprinten, dann hinunterjoggen, und dann das Ganze von vorn. Dann noch einmal. Und noch einmal. Die Oberschenkel brannten, als stünden sie in Flammen, die Lunge gierte nach Luft, der Schweiß floss in Strömen.
Die meisten Leistungssportler machten nicht mehr als zehn Wiederholungen, vielleicht fünfzehn, wenn sie sich eine solide Grundausdauer antrainieren wollten, die es ihnen erlaubte, den Körper auch mit übersäuerten Muskeln noch eine Zeit lang auf Hochtouren laufen zu lassen. Aber selbst das reichte Nathan nicht. Bei Weitem nicht. Er musste sich noch brutaler schinden, musste noch länger durchhalten als alle anderen, wenn er wirklich der beste Killer aller Zeiten werden wollte. Also zwang er sich zu zwanzig qualvollen Sprints den Hügel hinauf, bevor er sich auf den kurzen Dauerlauf zurück zu dem billigen Motel machte, das er vorübergehend sein Zuhause nannte.
Laufen war der entscheidende Faktor bei dem, was er vorhatte. Es machte ihn zu einem ernstzunehmenden Gegner und war ausschlaggebend für den Erfolg seiner kommenden Projekte. Anders als die meisten anderen Menschen, die vor der eigenen jämmerlichen Vergangenheit davonliefen – wie Hühner, dachte Nathan, die mit abgeschlagenen Köpfen durcheinanderhüpfen –, rannte er seiner Zukunft entgegen. Er rannte um seine Zukunft. Jedenfalls sagte er sich das immer wieder. Verdammt, vielleicht kam er eines Tages sogar dahin, es selbst zu glauben.
Es war heiß draußen. Brutal heiß. Während der letzten Tage hatte der Indian Summer L. A. fest im Griff gehabt, hatte die Stadt unbarmherzig an der Kehle gepackt und geschüttelt. Über dreißig Grad Celsius und eine so schwüle Luft, dass man sie wahrscheinlich auswringen konnte wie ein nasses Handtuch, wenn man sie richtig in die Finger bekam.
Die Sonne war ein brutzelnder Eidotter an einem fahlblauen Himmel. Sie knallte auf Jonathans Schädel wie ein solarer Vorschlaghammer, geschwungen von einer böswilligen Gottheit, als er aus dem Park hinausjoggte, wobei seine Beine zehnmal so schwer waren wie zu Beginn seines Trainings am Morgen. Wenigstens verriet ihm die wohltuende Müdigkeit seiner schmerzenden Muskeln, dass er erreicht hatte, was er hatte erreichen wollen.
Er wusste mit absoluter Gewissheit, dass Richard Ramirez, der Night Stalker, für seine Mordserie nicht so besessen trainiert hatte. Ganz bestimmt nicht. Hager, blass, mit eingefallenen Wangen unter den toten Augen – der Night Stalker war höchstens zum nächsten Tabakladen gerannt, um sich eine weitere Packung Billigzigaretten zu besorgen und seine verpesteten Lungen noch mehr zu vergiften.
Nathan schüttelte den Kopf und kicherte in sich hinein, als er den Park verließ. Der Night Stalker . Was für ein unglaublicher Witz. Bei Licht besehen war es erstaunlich, dass Ramirez überhaupt einen Spitznamen bekommen hatte.
Jonathan ließ den Park hinter sich. Die gepolsterten Gummisohlen seiner Laufschuhe tappten rhythmisch in stetigen Anderthalb-Meter-Schritten über das heiße Pflaster. Er hob die Hand und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Unvermittelt verzog er das Gesicht, als ihm ein Gedanke kam. Was war überhaupt Ramirez’ Problem gewesen? Wie hatte er so leichtsinnig werden können? So unprofessionell?
Wenn man ein Meister seines Fachs werden wollte – ein Killer, so erhaben über jede Kritik, dass nicht einmal der schlimmste Feind ein schlechtes Wort über ihn und seine Arbeit sagen konnte –, brauchte es bloß ein bisschen Nachdenken, gute Vorbereitung und eine Portion gottverdammte Disziplin, um alles richtig zu machen. Was war so schwer daran?
Gar nichts.
Wenn man der Beste sein wollte, musste man seinen Stolz beiseitestellen und das Spiel zuerst einmal studieren. Und wenn schon nichts anderes, war Nathan zeit seines Lebens ein äußerst gewissenhafter Schüler gewesen. Bis ins
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