Töten Ist Ein Kinderspiel
denn Probleme mit Gleichaltrigen?“
Die Frau stand auf und strich sich den hellblauen Kittel glatt, den sie über einem Sommerkleid trug. „Hören Sie: Mein Sohn hätte Udo Erdmann nicht erschossen, ganz egal, was passiert wäre. Woher hätte er denn die Pistole haben sollen?“
„Könnte es nicht sein … “, setzte die Hauptkommissarin noch einmal an.
„Haben Sie Kinder?“, fragte Hannes Mutter dazwischen.
Inge Nowak nickte. „Eine erwachsene Tochter.“
„Dann kommen Sie, ich möchte Ihnen etwas zeigen.“
Gerhild Hoffmann führte sie über zwei Holztreppen zum Speicher, von dem zwei Türen abgingen. Auf eine war ein großes rotes Peace-Zeichen gemalt.
„Das war sein Reich. Ich habe nichts daran verändert. Schauen Sie es sich an, und danach sagen Sie mir, ob Sie immer noch glauben, dass mein Sohn ein Mörder war.“
Mit diesen Worten ließ Gerhild Hoffmann die beiden perplexen Kommissarinnen auf der Treppe stehen und ging langsam die Stufen wieder hinunter.
Der Dachboden des alten Hauses roch muffig. Es war ihm anzusehen, dass sich schon lange niemand mehr um die verstaubten Dinge gekümmert hatte, die in dem Teil standen, der als Abstellkammer diente und dessen Tür offen stand. Durch die Ritzen der Schindeln drang an einigen Stellen Sonnenlicht, und an den Wasserflecken auf dem Boden sah man, dass das Dach dringend neu gedeckt werden müsste. Es entsprach dem Zustand des ganzen Hauses, das gut und gern vor zweihundert Jahren erbaut und seither offenbar immer nur notdürftig renoviert worden war. Unter dem undichten Dach lagerten aufgeweichte und wieder eingetrocknete Kisten, an den dicken Holzbalken hingen alte Fahrradreifen, zerschlissene Mäntel und Drahtseile, und Inge Nowak hätte sich nicht gewundert, wenn in den Nischen der verstaubten Gegenstände Ratten gesessen und sie abwartend beobachtet hätten.
Ganz im Gegensatz dazu zeigte sich das Zimmer hinter der verschlossenen Tür. Hannes Mutter musste regelmäßig zum Staubwischen und Lüften kommen, anders ließ sich der aufgeräumte, fast antiseptische Zustand des Raumes nicht erklären. Hier waren Mauern hochgezogen worden, die Wände verputzt, es gab sogar einen Ölofen darin, neben dem noch eine Plastikkanne stand.
An zwei Wänden klebte eine blaue Tapete mit Siebzigerjahre-Ornamenten, darauf ein Plakat von Ghandi mit Nickelbrille. In einem kleinen Regal daneben standen etliche Bücher von Hermann Hesse, ein Gedichtband von Rainer Maria Rilke und erstaunlich viele Bücher über die NS-Zeit, unter anderem eines mit dem Titel: „Die Männer mit dem rosa Winkel“.
„Vielleicht war er schwul?“, bemerkte Inge Nowak und hielt Verónica das Buch entgegen.
„Nein, das war er sicher nicht“, erklang Gerhild Hoffmanns Stimme hinter ihr. „Er war ziemlich verliebt in ein Mädchen, das nichts von ihm wissen wollte.“
„Woher wissen Sie das?“
„Ich habe nach seinem Tod in seinem Tagebuch gelesen. Die Polizei übrigens auch. Daher haben sie auch sein angebliches Tatmotiv.“
„Was da wäre?“
„Udo Erdmann war mit Erika Klinger zusammen.“
Inge und Verónica warfen sich einen schnellen Blick zu.
„Und?“
„Erika war das Mädchen, in das Hannes verliebt war. Schon immer. Die beiden sind praktisch zusammen aufgewachsen und waren in der Grundschule die dicksten Freunde. Obwohl Erika zwei Jahre jünger war. Als Hannes aufs Gymnasium kam, verloren sie sich immer mehr aus den Augen. Irgendwann war dann Erika in dieser Clique mit Udo Erdmann und diesem anderen, ich glaube er hieß Jürgen. Jürgen Knapp. Sie müssen es auf Hannes abgesehen haben.“
„Warum?“
„Er war anders. Nicht nur wegen seiner Behinderung. Er hat gegen Atomkraft demonstriert, hat in der Friedensbewegung mitgemacht.“ Sie lächelte. „Wissen Sie, manchmal, wenn ich unseren Außenminister sehe, den Joschka Fischer, der war ja damals auch so einer, dann denke ich, das hätte mein Hannes auch werden können!“
„Hatte Hannes denn keine Freunde?“
„Er hat sich mit vielen gut verstanden, aber hier in Unterlurch gab es keinen Jungen, mit dem er besonders gut befreundet war. In der Stadt gab es ein oder zwei, mit denen er sich während der Schulzeit regelmäßig getroffen hat. Danach war er auch viel unterwegs, aber meistens allein. Er wurde mehr und mehr zum Eigenbrötler. Zum Schluss war er eigentlich nur noch zum Schachspielen bei der Lenz.“
„Wer ist denn die Lenz?“ Inge Nowak kam aus dem Notizenmachen gar nicht mehr heraus.
„Eine
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