Töten ist ganz einfach: Thriller (German Edition)
Tisch, noch ist alles wie immer, noch hängen die schmutzigen Lappen am Herd, noch steht ein geflickter Kochkessel oben auf der Platte, noch glauben sie an ihr Überleben.
Krachend öffnet ein Fußtritt die Tür. Schwere Stiefel, soviel kann ich erkennen, das ist aber auch schon alles. Ich springe vom Sofa, will weg vom Zerfall, von der Hoffnungslosigkeit. Doch der Tod steht bereits vor mir in seiner schwarzen Jagdkleidung, die seine gedrungene Gestalt noch wuchtiger erscheinen lässt und seinen breiten Schädel noch mächtiger. Dieser Tod in Menschengestalt feuert ohne Zögern, natürlich will er mich mitnehmen in sein Totenreich, mich dem Fährmann übergeben, der mich über den Fluss geleitet, ans andere Ufer, dort, wo Madita im fahlen Licht schon auf mich wartet.
Ich sehe das orange leuchtende Mündungsfeuer, das unsere erbärmliche Küche in ein festliches Licht taucht und wie von einer Riesenfaust getroffen, knalle ich über den fettig glänzenden, schwarz schmierigen Boden, lande neben dem Tisch, trete aus Raum und Zeit, das heiße Metall des Royal-Steel-Deckels brennt sich zischend in meine Haut.
Die Schwestern krabbeln schreiend über den Boden, suchen absurderweise das zerfledderte Bilderbuch und den zerkauten Stoffhasen, sie sind ja erst vier und sechs Jahre alt, aber sie verstehen: Heute ist ein guter Tag zum Sterben! Sie umklammern die Beine von Vater und Mutter, die tatenlos, hoffnungslos, hilflos auf ihren Stühlen sitzen, die Hände schützend über die Köpfe der Mädchen halten, ihre Lippen bewegen sich lautlos, formen sich zu sinnlosen Gebeten. Die Mädchen halten den Abgesandten des Todes ihren Spielzeugmüll entgegen, als würden sie sich dadurch die Absolution kaufen können, doch den Tod beeindruckt man nicht.
Im Rhythmus der Schüsse vollführen Vater, Mutter, die Schwestern ein groteskes Ballett, werden vor und zurückgeschleudert, von dem Orange der Mündungsfeuer fürstlich erhellt, vom Pulverdampf zärtlich umhüllt, bis sie in einem Finale aus choreografiertem Dauerfeuer in einem Blutregen verschwinden, über mir zusammenbrechen, auf mich stürzen.
Die tote Familie liegt auf mir, schnürt mir die Luft ab, die Ohren klingeln noch vom Nachhall der Schüsse, es pocht und knarrt und scharrt und flüstert: Komm, der Fährmann wartet! Wir warten auf dich! Sie strecken die Hände nach mir aus, krallen sich mit blutigen Fingern in meine Kleider, wollen mich an das Ufer zerren, aber noch sträube ich mich. Der Fährmann verharrt in der Mitte des Flusses, starrt zu mir, die Arme auf das Ruder gestützt, als würde er auf ein Zeichen warten. Aber ich habe nichts, was ich ihm bieten kann. Ich habe nichts, um den Fährmann zu entlohnen, den Obolus zu entrichten. Achselzuckend wendet er die Barke, rudert zurück. Das Licht wird schwach, schwächer, erlischt.
Ich kann nicht atmen, aber hören. Ich höre den Namen Igor Drakovic, ein Name, der sich wie ein Schneidbrenner in mein Inneres frist, wie eine ätzende Flüssigkeit meine Seele zischend brandmarkt, dort wo der glühende Stahl des Royal-Steel-Deckels eine Narbe hinterlassen hat. Dann wird alles schwarz und ich bleibe zurück in absoluter Finsternis.
Das Ufer ist weit weg und in fahles Licht getaucht, doch ich bin nicht dort, ich werde zurückgezogen und weitergereicht, nach oben gehoben, hingelegt und finde mich in einem Feldlazarett wieder. Von einem Massaker spricht jetzt einer der Ärzte, von Auslöschung ein anderer, außer ihm keine Überlebenden, meint ein anderer und deutet auf mich, meint tatsächlich mich, der ich doch tot bin.
Auf den Tischen liegen Fotos und Filmrollen und noch mehr Bilder und Kodakfilme. Das ist einige Monate später, als ich den ausländischen Ärzten dolmetsche und jetzt erst mitbekomme, dass alle Bewohner unseres Dorfes von den Jägern ausgelöscht wurden.
Der Deckel von Royal Steel hat mir das Leben gerettet, der Deckel von Royal Steel wird ihnen den Tod bringen. Daran muss ich denken, wenn ich die Bilder betrachte, die ich in einem unbeobachteten Augenblick vom Tisch entwendet habe, mit dem Deckel in meiner fleckigen Umhängtasche verstaue und mich auf den Weg mache zu der Chirurgin, der österreichischen Ärztin von Ärzte ohne Grenzen, die unermüdlich versucht, das Grauen zu bannen, die versucht, allem einen Sinn zugeben, die mich mit ihren blauen Augen ansieht, die das Grauen gesehen haben, aber es nicht so spürt, wie ich es gespürt habe. Die Zigarette im Mund, lächelt sie mich liebevoll an, als ich
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