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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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die Lebenserfahrung zu.«
    »Okay, ein Gegengewicht … so wie es ganz viele Kräfte gibt, die in die eine, und ganz viele, die in eine andere Richtung ziehen. Melissa und ich haben lange darüber gebrütet und herumexperimentiert und kamen schließlich auf 36 2 Variablen.«
    Der erste Energieschub von Kingfishs flammender Ansprache schien der gelangweilten Stille üblicher Meetings Platz gemacht zu haben. Wie ein Wanderprediger hob der Pole die Hände und warf sein ganzes, von Pater Wachlukov abgeschautes rhetorisches Vermögen in die Schlacht: »Leute, strengt eure Fantasie an! Ihr habt Streit mit jemandem und wollt abstimmen. Bis jetzt geht das so: Eine Stimme ist dafür, eine Stimme dagegen … tja scheiße, Demokratie! Müsst ihr weiterstreiten, bis einer von euch tot umfällt. Oder bis einer die Geduld verliert und dem anderen die Fresse poliert. Demokratie eben, scheiße! Mit Eod ist das ganz einfach. Beide loggen sich bei Toggle ein, bringen ihre persönlichen Angaben ins Reine, das System sucht sich die restlichen Daten selbst zusammen, und am Ende spuckt es zwei Werte aus. 34,91 gegen 36,12. Streit entschieden. Gewalt überflüssig.«
    Stille.
    Toggle-Projekte wirkten auf den ersten Blick immer etwas seltsam. Man musste sie gründlich analysieren, bevor man ihr Potenzial erkannte. Das war bei Toggle Books und Toggle Streetview nicht anders gewesen, und es würde bei allen künftigen Toggle-Projekten genauso sein.
    »Ist das ein Spiel?«, fragte jemand zögerlich.
    Kingfish lachte: »Ja, ein Spiel! Ein echt geiles Spiel! Das Spiel der Spiele!« Dann wurde er plötzlich ernst: »Nein, kein Spiel. Das ist die letzte Reverenz, die ihr Melissa erweisen könnt. Sie hätte es sich von euch so gewünscht.«
    »Sie hätte es sich gewünscht?«, wiederholte Vanessa leise.
    »Geliebt hätte sie es!«, bekräftigte Kingfish.
    »Dann wünsche ich es mir auch«, flüsterte Vanessa. Halblautes Gemurmel im Saal bekräftigte diese Haltung.
    Aus der Ferne drang die Geschäftigkeit der Belegschaft an Holzwangers Ohr. Er las Melissas Mails auf der rekonstruierten Festplatte und langweilte sich. Kein Adressat erweckte Verdacht, keine Mail enthielt auch nur den Hauch einer persönlichen Bemerkung. Zunehmend unmotivierter klickte er die gesendeten Objekte durch.
    »Zufrieden?«
    Holzwanger schrak auf. Janek Jabłoński war in sein Büro getreten. »Wie geht das?«, lenkte der Toggle-Chef ab. »Erst löschen Sie alles, und dann ist es doch wieder da?«
    »Mehrere Optionen«, erklärte Jabłoński. »Entweder ist gar nichts gelöscht, sondern nur der Zugang blockiert worden. Trifft hier aber nicht zu. Melissas Festplatte war sauber. Andererseits – warum sollte man etwas löschen, ohne es vorher abzusaugen? Könnte ja einen echten Verlust für die Menschheit bedeuten.« Er blickte Holzwanger treuherzig an, als erwarte er Lob. Da es ausblieb, fuhr er enttäuscht fort: »Ich nenne das immer steal and clean , der perfekte Service.«
    »Sie meinen, Sie haben Melissas Dateien gestohlen, gelöscht und dann wieder zurückgespielt?«
    Kingfish nickte.
    »Na egal«, meinte Holzwanger. »Ich leiste mir zum Einstand sowieso ein neues Gerät. Sicher ist sicher.«
    »Klar doch«, sagte Kingfish in einem Tonfall, in dem man die Existenz des Osterhasen beglaubigte.
    »Wieso liegt alles offen vor Ihnen?«, fragte Holzwanger.
    »Tja«, meinte Kingfish, »Faulheit und blindes Vertrauen. 85 Prozent aller Passwörter sind schwach. 85 Prozent! Das ist wie mitGartenzäunen: Jeder Einbrecher kann drüberklettern, nur glauben anständige Menschen, dass anständige Menschen so was nicht tun. Sonst müssten sich alle hinter NATO – Stacheldraht verbarrikadieren.«
    Holzwanger nickte.
    »Blindes Vertrauen macht es noch schlimmer. Das ist dann, als würde man das Gartentor über Nacht sperrangelweit offen stehen lassen«, fuhr Kingfish fort. »Schon mal ’ne fremde PDF gelesen? Klar, PDF s liest jeder! Dabei kann man sie mit jeder Menge Spionagesoftware vollstopfen. Aber was sag ich? Selbst Botnetze haben eine lausige Passwort-Sperre. Ist einfach zu anstrengend, sich zwölf sinnlose Zeichen zu merken.«
    »Botnetze?«
    »Das, womit die bösen Jungs operieren. Ihre Piratenflotte gewissermaßen.«
    »Und Sie«, sagte Holzwanger langsam, »sind kein Pirat.«
    »Ich bin ein weißer Ritter. Okay, ich weiß gern viel. Aber dann entscheide ich, wem ich dieses Wissen gebe. Betrachten Sie mich als Forscher.«
    »Dann wüsste ich gerne mehr über Melissa

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