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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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sich der Pole. »Dann können wir jetzt abstimmen.«
    »Ist das immer noch nicht passiert?«, entfuhr es Holzwanger. »Irgendwann muss hier auch mal gearbeitet werden.«
    »Neues Wahlsystem«, erklärte Kingfish. »Am Anfang aufwändig, dann aber verblüffend simpel.«
    »Ja aber …«, wandte Vanessa mit gedehnter Stimme ein. »Wir wissen nicht, wie Melissa abgestimmt hätte.«
    »Echtes Problem bei Toten«, nickte Kingfish. »Aber für Tote ist das System auch nicht explizit gemacht. Man kann sie an der Wahl teilnehmen lassen, wenn sie zu Lebzeiten entsprechende Absichtserklärungen abgegeben haben. Aber irgendeinen Hinweis braucht man schon.«
    Vanessa schaute etwas ratlos drein.
    »So wie ich Melissa kannte«, ließ Holzwanger gereizt vernehmen, der den Vorgang endlich abschließen wollte, »hätte sie für das Büro mit dem größten Plüschtieranteil gestimmt.«
    »Meins?«, entfuhr es Vanessa verdutzt.
    Das hatte Holzwanger nicht geahnt. Aber wenn es seine Gegnerin entwaffnete, war es ihm recht. Er nickte.
    »Dann machen wir das so«, entschied Kingfish. »Zurück zur Davidswache, alle abstimmen!«
    »Wir sind sowieso alle für Melissa«, murmelte Vanessa. »Brauche ich mir gar keine Sorgen zu machen, dass ich ihr den Sieg wegschnappe.«
    Als Nikolaus Holzwanger vor seinem eigenen Computer saß, an dem er seine Mails abrufen konnte, hörte er vom Ende des Ganges her lautes Fußgetrampel und Klatschen. Wenige Sekunden später folgte ein perplexes »Oooh!« aus vielen Kehlen.
    Das neuartige Wahlsystem machte anscheinend Spaß.
    Er checkte seine Post, der Obduktionsbericht war da. Rastlos glitt sein Blick die Zeilen entlang: Keine Barbiturate, kein Flunitrazepam, nichts, was Melissa hätte schachmatt setzen können. Auch keinSuccinyldicholin aus der Anästhesie, das sich allerdings rasch im Körper abbaute. Nur ein hypoglykämischer Schock, ausgelöst durch erheblich zu viel Insulin im Blut, das wiederum kurz vor dem Kollaps in Melissas Blutkreislauf gelangt war, auf eine bei Diabetikern fast natürlich zu nennende Weise: per Injektionsnadel. ›Ein Fremdverschulden erscheint unwahrscheinlich‹, urteilte der Bericht. ›Sowohl suizidale Absichten wie auch ein fehlerhafter Gebrauch oder ein technischer Defekt des Insulinpens könnten für den Tod verantwortlich sein.‹
    Suizidale Absichten?
    Bei Melissa?
    Vor seiner offenen Bürotür belebte sich der Gang. Holzwanger unterbrach seine Tätigkeit und trat hinaus. Ein Chef sollte für seine Leute sichtbar sein. Die Belegschaft kam heftig debattierend aus der Davidswache und strömte den eigenen Schreibtischen zu. Zuallerletzt erschien mit dem billigen Blechpokal in der Hand die Siegerin.
    Es war Vanessa. Janek Jabłoński begleitete sie.
    »Doch kein Sieg für Melissa?«, rief Holzwanger, ehrlich erstaunt. »Ich dachte, die Belegschaft wollte ihr posthum die Reverenz erweisen!«
    »Hat sie auch«, schluchzte die vollkommen verzweifelte Gewinnerin. »Alle haben für sie gestimmt, ich auch. Aber ihre Stimme fiel ja auf mich.«
    »Damit war die Sache klar«, strahlte Jabłoński.
    »Mit einer Stimme zu 159?« Holzwanger konnte es nicht glauben. »158«, verbesserte er sich, denn er musste sich selbst abziehen. »Eins zu 158.«
    »100 zu 69,11«, korrigierte Kingfish. »Das hier sind miserable Scorer, meine Güte! Nicht mal Organspenderausweise haben sie. Und dann gibt’s ein paar schlimme Ausreißer nach unten, zum Beispiel Klaudia Schneiderhahn. Vier Abtreibungen in fünf Jahren! Ohne moralisch werden zu wollen, die solltest du im Auge behalten. Wer weiß, was sie gerade in der Teeküche treibt. Treibt «, wiederholte er anzüglich.
    »Ich verbitte mir derartige Gerüchte!«, empörte sich Holzwanger. »Was ist das überhaupt für eine Zählweise!«
    »Das«, sagte Janek Jabłoński gravitätisch wie der Papst, »nennt sich Toggle Democracy, einprägsam abgekürzt TOD . Du solltest es schon verstehen, bevor du es den Leuten auf der Straße erklärst.«
    Wie auf Zuruf füllte sich plötzlich der Empfangsbereich mit zwei Dutzend Menschen, die ganz offensichtlich nicht zur Firma gehörten. In der Mehrzahl waren es ältere Frauen in geblümten Kleidern, zwischen die sich ein paar männliche Rentner mit beigefarbenen Kunstfaserhosen gemischt hatten. Eine Praktikantin löste sich aus der Gruppe und kam auf Holzwanger zu.
    »Herr Doktor«, hauchte sie, »das ist eine Delegation der Dithmarscher CDU . Sie hatte für heute einen Infotermin vereinbart. Wegen Toggle

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