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»Grillen? Du willst grillen?« Holzwanger konnte es kaum fassen. Er hasste den Geschmack von angebranntem Fleisch und verkohlter Wurstpelle. »Warum, um alles in der Welt?«
»Weil heute letzter Schultag war, und weil es sich die Zwillinge gewünscht haben.« Seine Frau sah ihn streng an. »Außerdem kamen von dir keine besseren Vorschläge.«
»Hummer!«, sagte Holzwanger wie aus der Pistole geschossen. »Gänseleberparfait mit Mangosauce, und im Hauptgang Taubenbrüstchen auf Limettenschaum mit Olivencrostini.«
»Igitt«, sagte Pia, die gutes Essen sehr zu schätzen wusste. »Das passt ja alles überhaupt nicht zusammen!«
»Ich weiß«, seufzte Holzwanger. »Gibt es auch Salat?«
»Gemüsesticks. Oder glaubst du, unsere Olga ist plötzlich zur Fleischfresserin geworden?«
Das einzige Mädchen in der Familie hatte an seinem elften Geburtstag beschlossen, Vegetarierin zu werden, und das zum Erstaunen aller nun schon zwei Jahre lang durchgehalten.
So knabberten Vater und Tochter einträchtig an Möhrenscheiben, Sellerie- und Paprikastreifen, während der Rest der Familie ein Steak nach dem anderen in sich hineinschob. Die mächtigen Grillkartoffeln der Fleischverächter brauchten einfach ihre Zeit.
»Gibt’s was Neues?«, fragte Pia, als sich die Kinder schließlich zum Spielen verzogen.
»Mhm«, machte Holzwanger, den Mund voller heißer Kartoffelstücke. »Tolle Sache.«
Er berichtete von der Videokonferenz und seiner neuen Aufgabe. Dann zählte er alle Namen auf, die ihm schon durch den Kopf gegangen waren.
Pia schüttelte bedenklich den Kopf: »Das klingt eher nach einer Fernsehtalkshow als nach einem Meeting von Nobelpreisträgern. Warum hast du nicht an mich gedacht?«
Holzwanger blickte sie konsterniert an: »Weil wir verheiratet sind. Außerdem bist du zwar eine hervorragende Wissenschaftsjournalistin, aber Weinberger dachte mehr an –«
Seine Frau schnitt ihm das Wort ab: »Nicht an mich als Teilnehmerin, sondern an mich als Quelle! Hast du schon wieder vergessen, wohin mich mein Vetter Joachim vor drei Monaten gebracht hat?«
Das hatte Holzwanger keineswegs. Er erinnerte sich bloß ungern daran, dass Pia von Joachim Sterzel die Aufnahmeprüfung bei The Thousend nahegelegt worden war, einer erlesenen Vereinigung von Hochbegabten. Nur einer von tausend Menschen bewältigte deren IQ – Test so brillant, dass er 99,9 Prozent der Bevölkerung hinter sich ließ. Pia mit ihrem atemberaubenden Wert jenseits der 150 war so ein Mensch, Holzwanger mit seinem kümmerlichen von 119 nicht. Deswegen konnte sich Pia nun rühmen, eingetragenes Mitglied der IAS zu sein, der International Association of Supremacy , die von Eingeweihten nur raunend The Thousend genannt wurde.
»Ich hab doch neulich die Mitgliederliste gekriegt«, meinte Pia leichthin. »583 helle Köpfe sollten genügen, um ein Dutzend Teilnehmer für deine Konferenz herauszupicken.«
Holzwanger nickte, und während er eine Flasche Tempranillo entkorkte, holte seine Frau den IAS – Ordner aus ihrem Arbeitszimmer. Noch rangierte sie auf der untersten Stufe der Clubhierarchie, einer Hierarchie, deren schiere Existenz Pia anfangs misstrauisch gestimmt hatte, wirkte sie doch wie die Aufstiegspyramide innerhalb einer Sekte. Die Associate Members stellten zwei Drittel aller Mitglieder und mussten, um höher zu steigen, nicht näher definierte Leistungen erbringen.
Deswegen ahnte Holzwanger, dass Pias spontane Idee keineswegs auf nur uneigennützigen Motiven beruhte. Seine Frau spekulierte auf einen Bonus bei The Thousend , indem sie einigen der Mitglieder einen prestigeträchtigen Auftritt verschaffte. Sie war ehrgeizig und, seit die Kinderzahl auf vier angewachsen war, beruflich nicht mehr ausgelastet. Es fehlte ihrem turbulenten Alltag schlicht an intellektuellen Herausforderungen.
Dennoch fand er ihren Vorschlag ausgezeichnet. Schneller würden ihm auch keine hochrangigen Namen einfallen.
Pia kam zurück und stolperte fast über die Terrassenschwelle, weil sie noch im Gehen die Unterlagen überflog. »Das ist gut«, sagte sie. »Sehr gut! Wie lautet eure Fragestellung genau?«
Holzwanger stutzte, dann musste er lachen: »Erwischt! Ich weiß es nicht.«
»Jede Lösung eines Problems beginnt mit dessen exakter Formulierung«, mahnte Pia.
»Hm. Vielleicht so … nein. Jetzt hab ich’s: Wie sieht eine Welt aus, in der jedes in Büchern versteckte Geheimnis nur noch einen Suchmaschinenalgorithmus von seiner Entdeckung entfernt liegt?
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