Toggle
machen die eigentlich ihr Geld?«
»Wer? Toggle?«
Erik nickte.
»Werbung«, antwortete Marco. »Hier liegt irgendwo eine Broschüre mit der Firmengeschichte rum. Spannend.«
»Du hast sie natürlich gelesen.«
»Klar«, nickte Marco. Da Erik jedoch nicht nachbohrte, verkniff er sich weitere Ausführungen. Für längere Unterhaltungen war Erik nicht geboren, das hatte er schon gemerkt.
»Heißt doch die Menschenseele, oder?«, durchbrach Erik überraschend schnell die Stille.
»Mh.«
»Hier steht aber der Menschenseele. Komisch.«
»Zeig mal!«
Marco stand auf und ging zu Erik hinüber. Schon von Weitem erkannte er den Fehler: »Du hast da was übersehen. Das Buch heißt ›Der Menschenseele Not‹. Also die Not der Menschenseele. Genitiv.«
Erik ließ ein undefinierbares Grunzen vernehmen. Das beschwor in Marco eine unangenehme Erinnerung herauf. Schon einmal war sein Kompagnon in eine vier Nächte umfassende Schweigsamkeit gefallen, nachdem er ihm eine kleine grammatikalische Unwissenheit nachgewiesen hatte. Nicht mal die Siege im Tischtennis hatten ihm ein Wort des Triumphs entlocken können.
Genitiv war mit Sicherheit ein Affront.
Erik trainierte zwar hauptsächlich seinen Körper, hielt aber nicht minder viel auf seinen Geist. Zog man seine Doppelbegabung in Zweifel, reagierte er beleidigt. Und eine derart schwüle Nacht mit einem verstummten Kollegen an der Seite würde Marco nicht lange durchhalten. Dann übermannte ihn die Müdigkeit und ließ seinen Kopf auf die Tastatur knallen.
Also begann er in leichtem Plauderton den Raum mit Smalltalk zu füllen: »Um darauf zurückzukommen, Toggle lebt von Werbung, Nummer eins im Internet, weltweit. Umsatz irgendwas in Milliardenhöhe. Gewinne auch nicht ohne. Der Witz ist der Schlitz!«
Er schielte nach rechts, um zu sehen, ob die Zweideutigkeit bei Erik verfing. Seine Frauengeschichten waren legendär.
Keine Reaktion.
»Echt, die hießen früher einfach nur ›Der Schlitz‹, weil sie keine Werbung machten. Ist im Prinzip ja immer noch so. Geh mal auf Toggle, dann stößt du auf eine weiße Seite, in deren Mitte sich bloß ein Schlitz befindet, den du mit deinem Suchwort penetrierst . Früher haben dich Suchmaschinen mit Werbung und anderem Kram zugemüllt. Wetter, Nachrichten, Sportergebnisse, was keinen Menschen interessiert.«
Das war natürlich auch wieder ein Fauxpas.
»Okay, Sportergebnisse wären vielleicht ganz brauchbar, aber dafür gibt’s ja andere Seiten im Netz.«
Erik erhob sich und ging schweigend zur Toilette. Weil Marco sowieso keinen direkten Adressaten hatte, sprach er einfach weiter: »Die Gründer – Mann, die waren so alt wie wir! – glaubten eigentlich, nur Geld verdienen zu können, wenn sie ihre Suchtechnologie an große Firmen verkauften, für interne Datenbanken und so. Taten sie auch, aber das spielte eine untergeordnete Rolle. Denn einer kam plötzlich auf die Idee, dass man die Werbung an die Suchergebnisse anhängen könnte … und zwar so, dass sie inhaltlich immer zum gesuchten Thema passte. Das war der Durchbruch.«
Die Klospülung rauschte, Erik kam zurück.
»Ich glaube, das haben die mit den Büchern jetzt auch vor«, beschloss Marco seine Rede und drehte sich um. »Warum sollte das nicht funktionieren?«
»Weil ich kein Italienisch kann«, knurrte Erik.
Bingo! Er sprach wieder.
»Oh, das ist nicht so schwer. Ich hab mal bei einem Pizzaservice gejobbt und die wichtigsten Brocken –«
»Na klar, du Genie kannst natürlich fließend italienisch, kroatisch, hindustanisch und was auch noch. Deshalb tauschen wir jetzt die Plätze.«
Marco setzte sich an Eriks Computer und betrachtete die Datei, vor der dieser gerade kapituliert hatte. Dei doveri dei Principi neutrali verso i Principi guerreggianti, e di questi verso i neutrali, libri due.
Das hatte mit seinem Pizzeria-Italienisch ungefähr so viel zu tun wie Analogkäse mit Büffelmozzarella.
»Ist Italienisch«, sagte Marco stirnrunzelnd.
»Klugscheißer! Gibt’s nicht irgendeine Vorschrift, was wir mit ausländischen Büchern machen sollen, die –«
»Weiterschicken«, sagte Marco. »Dann bearbeiten das die Toggelisti in Turin. Aber du vergisst ein wesentliches Detail.«
»Das wäre?«
»Wir sind Studenten. Unser karger Stundenlohn wird erst durch die Stückzulage attraktiv. Schon vergessen?«
Angesichts der vielen, ihren Akkord unterminierenden Imbiss- und Tischtennispausen hatte Erik dieses Detail tatsächlich verdrängt. Natürlich,
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