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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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gebraucht, um zu begreifen, dass dies ›Peter Pan‹ heißen solle. Melissa Stockdale hatte ihn darauf gebracht. Im Kindergarten gab es seit ein paar Wochen ein deutsch-amerikanisches Mädchen. Die Eltern waren Holzwanger noch nicht begegnet.
    »Nein Stoppel, auf der Arbeit.«
    »Laaangweilig. Was gibt’s zum Abendbrot?«
    »Keine Ahnung«, sagte Holzwanger. Augenblicklich meldete sich sein schlechtes Gewissen. Pia warf ihm immer vor, er drücke sich vor der Essensfrage. Das stimmte. Selbstverständlich kaufte er auf dem Nachhauseweg ein, wenn sie ihm detaillierte Listen mitgab. Sollte er aber eigene Vorschläge machen, fiel ihm selten etwas anderes als ›Nudeln mit Soße‹ oder ›Kartoffelsalat mit Würstchen‹ ein.
    »Und so einer wird für zwanzig Prozent Kreativität im Job bezahlt!«, höhnte Pia dann gerne. Diese Steilvorlage existierte freilich erst seit einem Jahr, dem Jahr der unfassbaren Wende in Holzwangers Leben.
    Zunächst war es quälend weitergegangen. Im trägen Angestelltenuniversum wollte niemand Holzwangers Analysen hören. Kritische Dossiers an den Vorstand verschwanden in der Versenkung. Statt Konzepte zur Markteinführung nützlicher Erfindungen zu entwickeln, die es ja gab, saß Holzwanger seinen Hintern in Sitzungen platt, in denen es um die Formulierung der konzerneigenen Philosophie ging. Vor seinem inneren Auge schrumpfte das Wort ›Konferenzzimmer‹ auf zwei Anfangsbuchstaben zusammen: KZ . Nach sieben Monaten wurden die zusammengetragenen Floskeln vom Vorstand verworfen.
    Auch die Ingenieure feindeten ihn nach einer kurzen Beschnupperungsphase offen an. Eine anonyme Anzeige beim Finanzamt über einen angeblich nicht versteuerten Zuschuss zur Krankenversicherung seiner Kinder folgte. Zwar verlief die Sache im Sande – Holzwanger hatte einfach noch keinen Beleg von der Versicherung erhalten, den er der Buchhaltung hätte präsentieren können –, doch damit stand das Fass kurz vorm Überlaufen.
    An einem der öden Stuttgarter Feierabende stolperte Dr. med. Nikolaus Holzwanger dann plötzlich im Internet über eine Stellenausschreibung: Wir suchen einen Menschen mit Verstand zur Beurteilung anderer Menschen mit Verstand.
    Die Firma hieß Toggle Inc., saß in seiner Heimatstadt Hamburg, und kein Mensch mit Verstand hätte diesen Wink des Schicksals ignoriert. Dass er zuvor nie etwas mit Personalarbeit zu tun gehabt hatte, erschien Holzwanger als geringste Hürde. Was waren Angestellte anderes als Patienten, denen es noch halbwegs gut ging?
    »Kann ich eine Schelli haben?« Joshi streckte fordernd die Hand aus.
    »Nein!«, beschied ihn der Vater. »Mama hat’s verboten. Schon vergessen?«
    Joshi zog einen Flunsch, und zum zweiten Mal bekam Holzwanger ein schlechtes Gewissen. Es war nicht fair, die Kinder von seiner Leidenschaft auszusperren. Aber sie sollten keine Jellybeans essen, solange sie nicht wussten, wie die Welt wirklich schmeckte.
    Das war der einzige echte Minuspunkt an Toggle: Die ständige Konfrontation mit Süßigkeiten. Als Personalchef mit medizinischem Hintergrund hatte er sich gleich zu Beginn verpflichtet gefühlt, diese Praxis infrage zu stellen, war aber auf zähe Gegenwehr gestoßen. Offensichtlich benötigten Programmierer, die das Gros der Belegschaft stellten, neben ihrem obligatorischen Kaffeekonsum hohe Zuckerrationen. Bei ihm selbst war Toggle Seven zum Glück nur zu Toggle Three geworden. Aber auch drei Kilo zuviel nagten an seinem Selbstwertgefühl.
    »Jetzt holen wir Olga vom Geigenunterricht ab«, sagte Holzwanger. »Wie war dein Tag?«
    Er erhielt keine Antwort. Joshi war fünf und wusste, wie man Erwachsene strafte: mit Schweigen.

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    5
   Hamburg
Mittwoch, 7.   Juli, 18   :   00
    Die Sonne stand tief, als Melissa Stockdale nackt auf die Terrasse ihres Lofts in der Hafencity trat. 28 Grad Lufttemperatur – das war mehr, als Hamburg im ganzen vergangenen Sommer zur Mittagszeit geboten hatte.
    Melissa mochte die deutsche Hafenstadt. Wie die meisten Zugereisten tat sie sich aber mit deren launischem Klima schwer. Umso mehr genoss sie jetzt das Gefühl, sich mitten in der Stadt so privat bewegen zu können wie auf einer texanischen Ranch. Das Apartment war teuer, doch sein Geld wert. Man konnte den freien Blick auf die Elbe auskosten, ohne dass zugleich ein Nachbar Einblick auf die eigene Terrasse erhalten hätte. Dafür sorgte die raffiniert verschachtelte Architektur, die zahlreiche verborgene FKK – Paradiese barg. Jetzt, im Juli,

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