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würde, hielt Leclerc de Buffon die Wette, dass die Nummer 250 eher ein Hund oder ein Pferd als eine Frau sein werde. Aber er stimmte dem Passus zu.
Das überraschend aufgetauchte Exemplar von Galianis Schrift war wieder fein säuberlich zusammengefaltet im Süßweinfässchen verstaut und mit einem Deckel verschlossen worden. Während sein Schöpfer wie selbstverständlich davon ausging, das Fässchen werde zu seinem Stadthaus gebracht, instruierte Chaim Otto Fünfgeld den Kutscher, man solle es zum Hafen schaffen und dort bis zu seiner Ankunft sicher verwahren. Galiani stellte den baltischen Kaufmann zur Rede. Zu seinem Ärger musste er sich anhören, nicht im Besitze der Schrift zu sein.
»Mein lieber Abbé«, sagte Fünfgeld mit einem Unheil ankündigenden Blick, »ich musste etliche Goldstücke springen lassen, um diesen Bogen dem Drucker Raimundi zu entsteißen. Er ahnte, dass es sich um kein gewöhnliches Pamphlet handelte. Nun gehört es mir, nicht Ihnen. Aber seien Sie unbesorgt, ich weiß Schätze zu hüten. Eigentum«, seine Augen blitzten gefährlich auf, »Eigentum ist der erste und wichtigste Grundpfeiler der Ungleichheit. Nicht wahr?«
»Die Bruderschaft benötigt die Formel.«
»Die Bruderschaft ist ebenso dort, wo ich mich aufhalte, als da, wo Sie sich befinden.«
Damit hatte Fünfgeld wiederum recht.
Die Bruderschaft würde überall sein.
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99
San Francisco
Montag, 3. August, 20 : 00
Urs-Albert Flüeli hatte im imposanten Turm des San Francisco Mandarin Oriental die Dynasty-Suite mit Blick auf die Bayseite gebucht und war erleichtert, dass sie dem Oligarchen gefiel, obschon es nochgrößere Suiten im Hotel gab. Doch nach dem dritten und letzten Treffen mit dem milchgesichtigen Gründer von Myface befand sich Jewgenij Jacob Fünfgeld in außergewöhnlich aufgeräumter Stimmung. So kannte der Sekretär seinen Arbeitgeber gar nicht. Er fläzte sich auf einem der Sofas und seufzte vor Behaglichkeit: »Wissen Sie, Flüeli, als Schweizer können Sie gar nicht ermessen, was Luxus bedeutet. Sie sind in einem Land groß geworden, in dem es nie an etwas mangelte. Ich bin in einem System aufgewachsen, das jeden von frühester Kindheit an dazu erzog, die Verhältnisse überwinden zu wollen.«
»Die sozialistischen«, knurrte Flüeli.
»Nebbich, alle Kraft der Überwindung kapitalistischer Verhältnisse! Aber das war ja nur Theorie. Was machen Sie mit einer solchen Kraft, der das täglich eingehämmerte Feindbild fehlt? Wir hatten ja keinen Kapitalismus zur Hand, den wir überwinden konnten. Also begannen wir, unsere Kraft auf die Überwindung des Sowjetsystems zu richten, da haben Sie recht! Wir schmuggelten Jeans, Computerchips, westliche Schallplatten. Das ist der Ursprung der russischen Oligarchen! Kadergeschulte junge Sozialisten, die in der herrschenden Gerontokratie nicht zum Zuge kamen und sich Ausweichfelder suchen mussten, gingen zum Klassenfeind über. Niemand nahm Notiz davon. Und wenn doch, dann machten diskrete Bestechungsgelder die Behörden taub und blind. Nur ich war im Straflager. Drei Jahre lang. Antisozialistische Umtriebe.«
Er schnaubte verächtlich. »Dabei ging es mir um den wahren Sozialismus, nicht um den Warensozialismus der Leninisten.«
Du liebe Güte, dachte Flüeli. Hatte der Oligarch zu viel getrunken? Eine alte Ausgabe der Prawda gelesen? Oder wurde er angesichts seiner Erfolge sentimental?
»Sie wollen also Ihre Reichtümer verteilen«, sprach er sarkastisch.
Fünfgeld winkte ab. »Das ist primitiv. Solange Geld im Spiel ist, lässt sich die Zuordnung von Gütern nicht gerecht handhaben. Wir müssen ohne Umwege an die menschliche Substanz heran.« Er streifte sich die Budapester vom Fuß und räkelte sich in voller Länge auf dem Sofa. »Wussten Sie, dass ich einer Dynastie baltischer Kaufleute entstamme, die über Generationen das Salzheringsmonopol an der Ostsee besaßen?«
»Dann passt die Dynasty-Suite ja wie die Faust aufs Auge.«
Fünfgeld lachte. »Einer meiner Ahnen mit dem absurden Vornamen Chaim Otto begründete noch vor der Französischen Revolution eine Bruderschaft zur Neuordnung der Welt. Leider fehlte es damals an Möglichkeiten, die Pläne in die Tat umzusetzen. Deswegen kamen die schlechteren Entwürfe von Rousseau und Robespierre, von Marx und Lenin zum Zuge. Das interessiert Sie wohl nicht? Ihr Schweizer seit doch alle mit kantonaler Kurzsichtigkeit geschlagen! Die Welt endet nicht hinter den Alpen.«
»Sehr wohl«,
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