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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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Stepper abquälte und den Blick zum TV – Schirm schräg über dem Trainingsgerät erhoben hatte. »Was soll das?«, kratzte sich Guiseppe Arcimboldo in der sardischen Sportbar am Kopf, in der er unter dem Namen Antonio Ligusi als Aushilfskellner diente. »Was soll das?«, fragte Janek Jabłoński kopfschüttelnd im Foyer des Hamburger Hotel Pazific, dessen Fernseher für ein internationales Publikum eingestellt war. »Was soll das?«, murmelte Joachim Sterzel, der nach einem anstrengenden Konferenztag in Madrid ziellos durch die Kanäle des Satellitenfernsehens zappte. »Was soll das?«, entfuhr es Professor Alexandre Ranchin in der Frankfurter Lounge der Air France, in der er durch einen verpassten Anschluss gestrandet war. WAS SOLL DAS ? fragten sich 100 Millionen Menschen in aller Welt, die sich zur letzten Aphra-Show eingeschaltet hatten.
    »Das macht nichts«, versicherte der Präsident der USA seiner Gattin, die kopfschüttelnd verfolgte, wie zwei der reichsten Unternehmer des Landes im Begriff standen, ihren Besitz zu verspielen. »Die CIA , das FBI und die NSA sind seit heute früh dabei, die Rätsel zu knacken. Ein Großteil des Lösungsworts ist bereits bekannt.Uns fehlt nur noch das Motiv der beiden Toggle-Gründer: Sind sie dumm verrückt oder intelligent verrückt?«
    »Intelligent«, meinte die Präsidentengattin, als Juristin mit einem Riecher für Irreführungen ausgestattet. »Sie wissen sehr genau, was sie tun.«
    Das reichte allerdings nicht, um dem ansonsten zähen Programm weiter zu folgen. Sie schaltete ab und bescherte dem Präsidenten einen freien Abend.
    Viele Tausend Kilometer entfernt glaubte Alexandre Ranchin ebenfalls nicht an unlösbare Rätsel. In der Flughafenlounge klappte er sein Notebook auf und versuchte, die Toggle-Startseite zu erreichen. Erst nach minutenlanger Verzögerung reagierte der Server und lenkte dann – ob irrtümlich oder gewollt – den Besucher auf ein Menü drei Ebenen unterhalb der Suchmaske. Der Bildschirm zeigte ein Dutzend Toggle-Dienste, die Ranchin kaum kannte, sowie einen, den niemand besser kannte als er.
    Es dauerte einige Sekunden, bis er begriff, dass dieser Vorfall seinen Plänen mehr als zugutekam.
    In diesen Sekunden sah sich der Revolutionsforscher wieder auf dem Schlossplatz in Bukarest stehen, inmitten einer Menge von über 100   000 Menschen, die teilnahmslos dem rumänischen Diktator Ceauşescu lauschten. Dank des richtigen Gespürs für historische Augenblicke hatte sich Alexandre Ranchin unterhalb des Balkons der Parteizentrale eingefunden, denn auch in Rumänien musste etwas passieren. Man schrieb den 21.   Dezember 1989, längst hatte der Sozialismus seine Völker verloren, nur das Regime Ceauşescus hielt sich noch an der Macht. Plötzlich, ohne Vorzeichen und im vollen Bewusstsein, dass sich die brutale Geheimpolizei Securitate in Divisionsstärke unter die Menschen gemischt hatte, zerrissen Buhrufe die Stille. Binnen Minuten schwollen sie zum Orkan an, und ein Volk, das sich fünfzig Jahre lang hatte versklaven lassen, rief nach der gleichen Freiheit, die seine Nachbarländer schon für sich erkämpft hatten.
    Der Diktator überlebte den Aufstand nur wenige Tage, und die rumänische Revolution demonstrierte geradezu lehrbuchmäßig dasGesetz des platzenden Ballons. Einer Überdehnung der Leidensfähigkeit eines Volkes folgte die Explosion, und deren freigesetzte Energie ließ sich von niemandem mehr kontrollieren. Alle Revolutionen verliefen nach diesem Muster, doch das Entscheidende hatte Alexandre Ranchin erst durch seine Anwesenheit auf dem Bukarester Schlossplatz begriffen. Es war die Frage, wie sich die Angst vor Unterdrückung in entschlossene Wut verwandeln konnte.
    Der Kontakt war der Schlüssel.
    Ranchin hatte erlebt, wie ganz leise, eigentlich kaum hörbar jemand neben ihm ein Buh ausgestoßen hatte, fast nur ein Ploppen in der Atemluft, und vielleicht war es tatsächlich nur ein unbeabsichtigtes Geräusch gewesen, das ein Nebenstehender als Buh wahrgenommen hatte, um ihm nun seinerseits ein gewolltes Buh hinterherzuschicken. Mit jeder weiteren Interpretation eines weiteren Nachbarn wuchs die Lautstärke der Buhs, und je lauter sie wurden, umso mehr ermunterten sie entfernter stehende Menschen zur Nachahmung. Hätte das erste, halb zufällige Buh keine positive Rückkopplung erfahren, wäre die Lawine nicht ins Rollen geraten, wiewohl Ranchin vermutete, dass Räusperer und Atemgeräusche an vielen Stellen als

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