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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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wenn sie strikt durcharbeiteten, konnten sie pro Nachtrund ein Viertel mehr verdienen! Andererseits waren die Pausen ja auch was wert: In dieser Zeit stopften sie sich mit Sachen voll, die sie außerhalb der Arbeitszeit irgendwo hätten bezahlen müssen. Am Kiosk, im Supermarkt oder in der Mensa.
    »Ich scrolle das mal schnell durch«, beschloss Marco, »und wenn der Text nicht auffallend zermatscht aussieht, geben wir ihn frei. Das kann man ja auch rein optisch beurteilen.«
    Er ließ den Cursor in hoher Geschwindigkeit über die Seiten schwirren. Das Scanprogramm hatte sauber gearbeitet und nirgendwo Farbmarkierungen hinterlassen, die auf Fehler hingedeutet hätten. Auch keine Sternchen, Rauten oder Sonderzeichen störten das Bild.
    Nur der Schluss des Buches wirkte etwas seltsam. Der Text endete auf der letzten Zeile rechtsbündig statt eingerückt. Aber er schloss mit einem Punkt. Und wo ein Punkt stand, war ein Buch zu Ende.
    »Okay«, machte Marco, nachdem er den ausschweifenden italienischen Titel samt Autorennamen ins Metadatenformular eingetippt hatte. »Ab die Post!«
    Schwungvoll hieb er auf die Entertaste.
    »Die Welt hat ein unersetzliches Buch mehr«, sagte er salbungsvoll. »Möge der Herr ihm wenigstens einen Leser schenken!«
    Dann gab er den Computerplatz für Erik frei, dessen anschließende Aufgaben anspruchsvoll genug waren, um ihn erneut einsilbig werden zu lassen. Unerwarteterweise lachte der Sportstudent aber nach ein paar Minuten laut auf: »Schlitz, das war nicht schlecht! Weißt du eigentlich, dass ich neulich meinen Suchstachel in einen ganz edlen Schlitz gesteckt habe?«
    »Erzähl«, sagte Marco und lehnte sich behaglich zurück.

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    9
   Berlin
Mittwoch, 7.   Juli, 22   :   15
    Ächzend stieg Anton Purgler die Treppe zu seiner Schöneberger Wohnung hoch. Die Sache mit den Polizisten hatte Nerven gekostet, aber letztlich war er Sieger geblieben. Man konnte natürlich der Meinung sein, das ganze Theater bei der Kontrolle sei völlig überflüssig gewesen. Was wäre verkehrt gewesen, wenn die Cops die Bücher zu Gesicht bekommen hätten?
    Nichts.
    Eigentlich.
    Aber Anton Purgler war ja kein Anfänger. Er wusste, dass sich unverfängliche Erinnerungen in den Köpfen anderer rasch gegen ihn richten konnten, stießen sie mit verfänglichen Fragen zusammen. Gewiss, jeder durfte im eigenen Kofferraum Bücher transportieren. Aber wenn auffällige alte Bücher aus dem 18.   Jahrhundert abhandenkamen – oder abhandengekommene Exemplare an einem falschen Ort wieder auftauchten –, war es besser, wenn niemand diese zuvor in seinem ganz persönlichen S-Klasse-Kofferraum gesehen hatte.
    Kein Job war so gut bezahlt, dass er kleine Nebengeschäfte entbehrlich gemacht hätte.
    Als Purgler die Tür zu seiner Zweizimmerwohnung aufsperrte, prallte ein schwerer Kellerschlüssel gegen die verletzte Handfläche. Der tiefe, glatte Schnitt brach auf und begann wieder zu bluten. Purgler fluchte.
    Dieses Buch!
    Dieses Mädchen!
    Dieses Buch!
    Er wusste nicht, wen er mehr hassen sollte.

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    10
   Prützke
Mittwoch, 7.   Juli, 23   :   45
    Das Mädchen hieß Anna-Katharina Loibl, war siebzehn Jahre alt und schrieb Tagebuch. Am Abend des 7.   Juli füllte es zwanzig Seiten mit den geschwungenen Buchstaben einer ausladenden Mädchenschrift, bevor es kurz vor Mitternacht seinen Russellterrier an die Leine nahm und noch einmal hinaus in die Sommernacht lief. Zwanzig Seiten hatte Anna-Katharina gebraucht, um zu rekapitulieren, was ihr unerklärlich geblieben war, und um zu spekulieren, welchen Sinn das alles in sich barg.
    Die Ereignisse mussten etwas mit ihr zu tun haben.
    Sie stammte aus Starnberg und fühlte sich in der brandenburgischen Provinz elend. Seit ihre Eltern einen Elektroinstallationsbetrieb in Prützke übernommen hatten, sieben Jahre lag das nun zurück, war ihr außer der täglichen Busfahrt ins Gymnasium Brandenburg kein Kontakt zur lebendigen Welt geblieben. Prützke, ein Kaff von wenigen Hundert Seelen, bestand ausschließlich aus debilen Jung- und dementen Altbauern. Der einzige Lichtblick war die Autobahnauffahrt, die man zu Fuß erreichen konnte, um von dort aus ins 70 Kilometer entfernte Berlin zu trampen.
    Aber niemand fuhr von Prützke aus nach Berlin.
    Man fuhr nach Kloster Lehnin, wo die Gemeindeverwaltung saß, nach Werder oder nach Brandenburg. Ganz Verwegene fuhren bis nach Potsdam, kauften dort in einer der Shopping-Malls ein und waren spätestens zum Abendessen

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