Toggle
war eine reine Finte gewesen. Der Internetzugang des Hotels genügte allemal. Doch Holzwangers Frau würde alleine klüger und nervenstärker agieren, dessen war er sich schon nach kurzem Kontakt sicher gewesen.
Trotzdem gab es im Augenblick eine Schwachstelle.
Nachdem er sich in den Hotelserver eingehackt und dort die Hauselektrik analysiert hatte, wusste er, dass Schloss Mellau energieautark war. Ein eigenes kleines E-Werk am Forchbach versorgte alle Gebäude im Tal mit Strom, was umgekehrt bedeutete, jedermannkonnte das Luxushotel ohne großen Aufwand in Dunkelheit versetzen. Dann wäre tatsächlich eine Interneteinwahl via Surfstick die einzige Verbindung nach Valley Hills.
Kingfish verdrängte diesen Aspekt. Er sah auf die Uhr. Kurz nach zehn.
Melissa hatte ihm hin und wieder Anekdoten aus der Societas Jesu Reloaded erzählt. Ständig tauchten darin kabbalistische Zahlenspiele auf. Die nächste Ziffer solcher Art würde 0:00 sein – eine ideale Uhrzeit, um alles auf Anfang zu stellen. Oder eine neue Epoche anbrechen zu lassen.
Bis dahin hatte er noch Zeit.
Er loggte sich ins Aquariumsspiel ein, das er tagelang sträflich vernachlässigt hatte. Sofort bemerkte er, dass es dem gesperrten Journalisten gelungen war, seinen geblockten Account zu reaktivieren. Erzürnt warf er ihn endgültig aus dem Spiel. Dabei fiel ihm die Kreditkartenbeute aus Schloss Mellau ein, die er ursprünglich dem Journalisten zugeteilt hatte. Wann war ihm dieser Fisch eigentlich an die Angel gegangen?
Vor neun Tagen, während des Toggle-Kongresses!
Mühelos ließ sich der Name des Gastes im Hotelcomputer ermitteln. Mit diebischer Freude rieb sich Kingfish die Hände. Alexandre Ranchin konnte seinen Wert bei Toggle Democracy komplett vergessen! Er würde ihn mit Kreditkartenschulden überhäufen, gegen die ein Bankabzocker à la Jérôme Kerviel wie ein Waisenkind wirkte.
Auf Schulden reagierte der Algorithmus höchst sensibel.
Trotz ihrer schlanken Figur fühlte sich Pia keineswegs wie eine verführerische Susanna im Bade. Dennoch bemerkte sie, dass Dijkerhoffs Gesprächigkeit in direktem Zusammenhang zu ihrem Bekleidungszustand zu- oder abnahm. So begann sie, eine Unentschiedenheit in der Kleiderwahl zu inszenieren, was sich als leidlich schwierig erwies, da sie sich nur aus einer einzigen, flüchtig gepackten Reisetasche bedienen konnte. Dijkerhoff ließ sich blenden. Im Grunde war er bloß mit sich selbst beschäftigt.
»Ja, ich bin ein Staatsfeind«, grummelte der schnauzbärtige Philosoph vor sich hin. »Ich bemühe mich erst gar nicht, es zu verbergen,weil es darauf ankommt, das Prestige des Wortes ›Staatsfeind‹ zu verbessern. Wir alle sollten Staatsfeinde sein, weil der Staat nichts mehr als eine bürokratische Entartung des ursprünglichen auf Thymos gerichteten Gemeinschaftsgedankens geworden ist.«
»Dieses hier?«, fragte Pia und legte zum dritten Mal das grüne Trägerkleid mit den Sommerblumen an. Dijkerhoff ignorierte sie vollständig.
»Und in meiner Eigenschaft als Staatsfeind sehe ich es als Pflicht an, für positive Veränderungen einzutreten, gerade weil mich dieser Staat mit Beamtenprivilegien versorgt.« Seine Stimme färbte sich pathetisch, was durch seine vernuschelte Sprechweise allerdings eher komisch wirkte: »Euer Ehren, ich bekenne mich schuldig! Ich gehöre einer Vereinigung an, die eine Aufhebung im Hegel’schen Sinne anstrebt. Laien sagen Umsturz dazu.«
»Ich auch«, sagte Pia. »Aber ich will da raus.«
Er starrte sie verdutzt an.
»Sie?«, fragte er zweifelnd. »Sie sind doch eine Frau! Ziemlich eindeutig eine Frau, wie ich ersehen durfte.«
Er hob mahnend den Zeigefinger.
»Vielleicht doch lieber etwas Gewagtes, bauchfrei oder topless?«, trieb Pia ihr Spiel weiter.
»Der weibliche Überhang ist stets gefährdet«, dozierte Dijkerhoff. »Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht damit brüsten – Brüste, hah! –, als Frau einer misogynen Bruderschaft anzugehören. Wie um Himmels willen sind Sie überhaupt dazugestoßen?«
Er starrte sie missbilligend an. Sie ließ die Träger des Kleids ein Stück hinabrutschen. Er schüttelte unwillig den Kopf: »Im Grunde habe auch ich nichts in dieser IAS verloren! Megalothymia hat mich verlockt. Vor ihr warnte schon Platon. Ziehen Sie sich lieber einen Pullover über, Susanna. Auch im Sommer sind die Alpennächte kühl.«
»Ich heiße Pia«, sagte Pia. »Aber das mit dem Pullover ist ein guter Vorschlag.«
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München
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