Toggle
(Airport)
Mittwoch, 5. August, 22 : 15
Nikolaus Holzwanger kämpfte sich durch die Terminals im Flughafen Franz Josef Strauß zu einem Taxistand durch. Während er auf endlosen Laufbändern andere Passagiere überholte, hörte er seine Mailbox ab. Olga rapportierte den Anruf ihrer Mutter und schwor hoch und heilig, den Vater nicht verraten zu haben.
Er wollte Pia nicht alleine lassen. Ganz speziell nicht mit Janek Jabłoński.
Dieses simple Motiv trieb ihn nun auch dazu, die letzten 150 Kilometer per Taxi zu überwinden. Weil er keine Lust auf einen Škoda oder Toyota verspürte, handelte er sich einen handfesten Krach mit den Taxifahrern in der Warteschlange ein. Erst nach einer Folge von Wortgefechten erklärte sich ein wortkarger Libanese mit einer akzeptablen Limousine bereit, aus der Reihe auszuscheren. Das wütende Hupkonzert ließ sich aushalten.
»Was muss ich drauflegen, damit Sie sich nicht sklavisch an die Verkehrsregeln halten?«, fragte Holzwanger, nachdem er die Tür des 5er BMW hinter sich geschlossen hatte.
Der Libanese zuckte mit den Schultern. »Halt ich mich dran, halt ich mich nicht dran … immer gleich teuer.«
Holzwanger wunderte sich: War er mitten in Bayern auf einen naturalisierten Preußen gestoßen? Keine Spur von Schlitzohrigkeit?
»Aber Sie können mir ja bei roter Ampel Bonus geben«, schlug der Taxifahrer vor. »Ist wie bei Banken: Wer rote Ampel überfährt, kriegt mehr.«
Holzwanger schlug ein. Er ahnte, dass ihn die Regel um eine beträchtliche Summe erleichtern würde. Eifersucht war ein teures Geschenk der Liebe.
[Menü]
110
Schloss Mellau
Mittwoch, 5. August, 23 : 00
Manche Räume in Mellau wurden ständig frequentiert, manche kaum benutzt. Zu Letzteren gehörte die obere Bibliothek. Der Architekt des nachträglich angebauten und vom Hotelbrand verschont gebliebenen Gewittersteinflügels hatte seinerzeit die Belesenheit der Gäste überschätzt. Niemand besuchte das hohe Bücherzimmer im ersten Stock, weil die ursprüngliche Bibliothek im Hauptgebäude bereits alle Lektürebedürfnisse deckte. Vielleicht lag es aber auch an den falschen Büchern oder am ungemütlichen Licht, vielleicht am verglasten Poster der beiden WTC – Türme an der Wand. Wer solche Poster aufhängte, wollte nicht, dass sich Leute in diesem Raum wohlfühlten.
Jewgenij Jacob Fünfgeld trat auf den Bilderrahmen zu, nahm die großformatige Fotografie des World Trade Center ab und lehnte sie mit der Bildfläche gegen ein Regal. »Das drückt nur aufs Gemüt«, erklärte er.
Neben seiner Abgeschiedenheit besaß der Raum einen weiteren Vorteil. In seiner Mitte stand ein großer heller Buchenholztisch, um den herum acht hochlehnige, schwarze Lederstühle gruppiert waren. Auf der Tischplatte lagen der von Fünfgeld mitgebrachte Bürstenabzug des Unfehlbaren Systems sowie zwei unauffällige, silbern schimmernde USB – Sticks. Ganz am Rande wartete ein Notebook auf seinen Einsatz.
Der leicht erhöhten Sitzposition nach zu urteilen, präsidierte Joachim Sterzel der Versammlung.
»Thanks«, sagte Professor John Frigg aus Boston, als sei ein Fenster geschlossen worden, durch das kalte Zugluft einströmte. Fünfgeld kehrte zum Tisch zurück. Alexandre Ranchins Zeigefinger richtete sich bohrend auf den Oligarchen: »Von Ihnen kam der Galianitext!«
Fünfgeld nickte.
»Und Sie wussten davon, denn das Päckchen ging mir aus Ihrem Moskauer Institut zu!« Ranchin drehte sich Professor Grigori Blavatnik zu.
Blavatnik nickte.
»Warum haben Sie sich nicht direkt an mich gewandt?«, wandte sich Ranchin wieder an den Oligarchen. »Es war doch offensichtlich, dass ich die einzig richtige Anlaufstelle für dieses Manuskript war.«
»Ich bevorzuge es, keine Spuren zu hinterlassen.«
»Ranchin hat völlig recht, er war die einzig richtige Anlaufstelle für Galianis Schrift«, ertönte Joachim Sterzels Stimme. »Deswegen hat er die Operation geleitet. Auch der Einfall zu unserer Abschlusssitzung in Mellau stammt von ihm. Wer so viel Verantwortung trägt wie wir, sollte auch ein wenig Luxus genießen können.«
Acht Fingerknöchel klopften auf Holz.
»Allerdings«, fuhr Sterzel fort, »ist auch ziemlich viel schiefgelaufen. Professor Ranchin hat zweifelhafte, unzuverlässige und leider auch brutale Leute für sich arbeiten lassen. Der Tod von Melissa Stockdale hätte das Projekt beinahe gestoppt – wenn uns nicht andere, glückliche Umstände in die Hände gespielt hätten.«
»Dieser
Weitere Kostenlose Bücher