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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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oder, oder!«
    »Wo gibt’s denn hier einen Buchbinder?«
    »Schau ins Internet«, sagte die Mutter gleichgültig. »Buchbinder, so ein Schmarrn! Ich hab im Leben noch keinen Buchbinder gebraucht.«
    »Du hast im Leben auch noch kein Buch in der Hand gehabt.«
    »Dafür kann ich kochen!«, versetzte die Mutter wütend. »Und du kannst nichts außer lesen!«
    Anna-Katharina nahm die Alufolie aus der Schublade und verließ die Küche. Sie war auf einem falschen Stern gelandet. Planet Prützke, besiedelt von Lebewesen bar jeder Sehnsucht nach innerer Vollkommenheit. Aber im Internet surfen, das konnten sie, Vater und Mutter! Es war ihre Art, jeglichen Kontakt zu Gedrucktem zu vermeiden, sogar den zu Telefonbüchern.
    Anna-Katharina hasste das Internet. Es bereitete ihr ein flaues Gefühl im Kopf und schläferte den Verstand ein. Buchstaben auf leuchtenden Bildschirmen schienen sie auszulachen, Buchstaben in Büchern winkten ihr fröhlich zu.
    Oben in der Mansarde riss sie ein großes Stück Alufolie von der Rolle ab, wickelte die Beute vorsichtig darin ein und steckte sie in ihren Rucksack. Dann sah sie auf die Uhr. Um 10.35 Uhr ging ein Bus in die Kreisstadt.

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    14
   Brandenburg
Donnerstag, 8.   Juli, 12   :   00
    »Ich suche einen Buchbinder.«
    »Ich bin ein Antiquariat«, sagte der Mann, der Anna-Katharina nach langem Klingeln die Tür geöffnet hatte. »Und zwar ein Versandantiquariat. Ohne Publikumsverkehr.«
    Das ließ sich nicht übersehen. Das Hemd des Mannes war am Kragen speckig, seine Jeans schien wochenlang nicht gewaschen worden zu sein. Wäre er nicht entschieden zu jung dafür gewesen, hätte man vermuten können, es mit einem ausgemusterten kommunistischen Parteifunktionär zu tun zu haben. Seit Anna-Katharina im Osten gelandet war, kannte sie diese Typen: Achtlos gekleidet, immer schlecht gelaunt, aber von einer atemberaubenden Geschäftstüchtigkeit. In den ersten Jahren war ihr Vater von ihnen dutzendfach übers Ohr gehauen worden.
    »Ich habe in der Bücherei nachgefragt«, erklärte das Mädchen. »Man sagte dort, Sie lassen manchmal Bücher binden. Dann kommt jemand zu Ihnen und holt sie ab.«
    Der Antiquar kratzte sich am Kinn: »Ja und?«
    »Vielleicht können Sie mein Buch auch …?«
    »Nein.«
    »Es ist ein sehr altes Buch.«
    »Ich habe lauter sehr alte Bücher«, entgegnete der Antiquar. »Einige vor 1918 gedruckt. Kaiserreich.«
    Anna-Katharina lachte: »Ich meine richtig alt! 1782. Ancien Régime, wie man diese Zeit nennt.«
    Der Antiquar stutzte. Er musterte das Mädchen: Sechzehn, höchstens siebzehn Jahre alt. Keine Einheimische. Dazu war sie zu bleich, weder braun gebrannt noch bunt bemalt, wie sonst die Mädchen in der Gegend. Und sie rollte das R zu sehr.
    »Von deinen Großeltern?«, fragte er misstrauisch.
    »Urgroßeltern«, log Anna-Katharina.
    »Hehlerware nehm ich nämlich nicht.«
    »Sie sollen es auch nicht kaufen, sondern nur reparieren lassen. Es ist nämlich ein bisschen beschädigt.«
    Zudem fand der Antiquar das Mädchen ganz hübsch. Schon lange hatte er nichts Hübsches mehr auf seinem Sofa gehabt.
    »Komm rein«, sagte er schließlich. »Wir bringen die Sache hinter uns, dann gehst du wieder.«
    Anna-Katharina nickte und folgte ihm in seine Baracke. Muffige, säuerliche Luft schlug ihr entgegen. Die beiden durchquerten einen langen Gang. Linkerhand gingen etliche Türen ab. Wo sie offen standen, konnte man düstere Räume mit quergestellten Stahlregalen sehen. Bücher über Bücher lagerten darauf. Die meisten sahen freilich so aus, als würden sie nie mehr einen Besitzer finden. Produkte von DDR – Verlagen, die schon zu sozialistischen Zeiten nie jemand hatte in die Hände nehmen wollen.
    »Bin auf Ideengeschichte des Marxismus spezialisiert«, nuschelte der Antiquar. »Meine Branche lebt von ihrer Geduld.«
    Sie gelangten ans Ende des Ganges. In einem kleinen Zimmer stand ein abgewetztes Sofa undefinierbarer Farbe, daneben ein Tisch mit einer von Kaffeeflecken übersäten Thermoskanne.
    »Kannst du überhaupt bezahlen?« Der Antiquar sah das Mädchen erwartungsvoll an. »Den Buchbinder, meine ich.«
    »Wird schon nicht so teuer werden«, sagte Anna-Katharina beherzt. »Sind nur ein paar Seiten.«
    Der Antiquar verzog seinen Mund zu einem Lächeln und entblößte eine Reihe brauner Zähne: »Wir finden einen Weg.«
    Anna-Katharina antwortete nichts. Vorsichtig ließ sie sich auf der Sofakante nieder, holte das Alupäckchen aus dem Rucksack und

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