Toggle
unwirsch.
»Sozusagen. Ich wollte dir meine Liste der Konferenzteilnehmer präsentieren. Ab Montag bin ich für zwei Wochen auf Fünen, Urlaub mit den Kindern, und wenn wir …«
»Jetzt nicht!«, raunzte ihn Melissa an. »Ich muss in den Kraftraum, Dampf ablassen. Komm in einer Viertelstunde wieder!«
Sie schwirrte ab. Die Zentrale von Toggle Inc. war üppig mit Sportgeräten ausgestattet, doch außer der Niederlassungsleiterin und ein paar Marketing-Beaus benutzten nur wenige den Parcours.
Holzwanger legte seine Liste auf Melissas Schreibtisch und überflog noch einmal die Namen, vor denen jeder halbwegs informierte Zeitgenosse demütig auf die Knie gehen musste:
Prof. John Frigg, Boston
Prof. Grigori Blavatnik, Moskau
Prof. Joachim Sterzel, Dresden
Prof. Reimar –
Unabsichtlich berührte er Melissas Maus. Der Bildschirmschoner verschwand, und Holzwanger blickte aufs Brustbild eines gut gebauten jungen Mannes. In der Kategorie ›Nicht verlängern‹ hatte Melissa ein Häkchen gesetzt. Holzwanger grinste und schloss die verräterische Personalakte mit einem Klick. Statt zur normalen Schreibtischoberfläche zurückzukehren, verwandelte sich der Computer nun in ein Aquarium. Mehrere schillernde Tropenfische schwammen darin herum und glotzten ihn mit großen Augen an. Sie wirkten wie lebende Wesen.
Nikolaus Holzwangers Chefin wurde von einem unerklärlichen Drang angetrieben, ihre Umwelt in bunte Farben zu tauchen.
Prof. Reimar Dijkerhoff, Karlsruhe
Prof. Henry Fienkelbart, Jerusalem
Prof. Helene Siebenhofer, Wien
Prof. Peeter Goodrick-Clark, London
Holzwanger entdeckte den Tippfehler im Namen, zog unter einem turmhohen Papierstoß einen Kugelschreiber hervor und strich den falschen Doppelbuchstaben durch. Der Papierstoß neigte sich gefährlich zur Seite. Dann rutschte er auf Holzwangers linke Hand, und ein stechender Schmerz durchfuhr den Personalchef.
Im Nagelbett seines Zeigefingers steckte der Mitglieds-Pin eines Golfclubs. Wenn es um nützliche Kontakte ging, überwand Melissa alle Abneigungen gegen verstaubte Konventionen.
Holzwanger presste sein verletztes Nagelbett, damit sich die Wunde reinigte. Ein paar Blutströpfchen klecksten auf die Aufstellung und machten den letzten Namen unleserlich.
Prof. Alexandre Ranchin, Paris
Holzwanger fluchte leise. Das alles kam nur von Melissas Unordnung! Wie mit einem Virus hatte sie die ganze Hamburger Angestelltenschaft angesteckt, ihre Schreibtische mit Tinnef und Kram zu überladen. Pimp my pot hieß das alberne Spiel. Jedes Büro erhielt 100 Euro, und jeweils nach den Sommerferien winkte ein mit Strass-Steinchen besetzter Pokal als Siegestrophäe. Allerdings kämpfte die Chefin mit. Sie klapperte alle Ein-Euro-Shops und Mäc-Geiz-Filialen der Umgebung ab, bis sie zwei Kartons voller dekorativem Nippes besaß: kleine Püppchen, Lichterketten, Windspiele, Weihnachtsbaumschmuck, ausrangierte Sportmaskottchen und dergleichen mehr. Bei der Schlussabstimmung gewann sie trotzdem nie gegen die Belegschaft, denn die Belegschaft besaß eine klare Abstimmungsmehrheit, und das ließ sie die Chefin spüren.
»Im Kraftraum traf ich eine Dreizehnjährige, die behauptete, deine Tochter zu sein«, ertönte plötzlich Melissas Stimme im Gang. Sekunden später erschien ihr vom Sport erhitztes Gesicht in der Türfüllung.
»Das stimmt.« Holzwanger wollte zu einer Erklärung ansetzen, aber seine Chefin schnitt ihm das Wort ab: »Was wolltest du von mir? Ach ja, die Liste. Sind das deine Vorschläge?«
Sie trat zum Schreibtisch, überflog die Namen. Als sie bei denBlutflecken angekommen war, zeichnete sich auf ihrem Gesicht eine Mischung aus Irritation und Erschrecken ab.
»Papa, wo bist du?«, erscholl unerwartet eine helle Mädchenstimme von draußen. »Mach mal Huhu!«
»Oweh«, versuchte Holzwanger die Situation zu überspielen, »meine Tochter wollte sehen, wo ihr Vater tagtäglich seine Zeit verplempert. Und da heute ihr erster Ferientag ist, habe ich sie mitgebracht.«
»Ich muss jetzt duschen«, entgegnete Melissa geistesabwesend. »Um drei beim Kaffee?« Es war mehr ein Befehl als eine Frage.
Holzwanger nickte.
Dann trat er in den Flur hinaus, um Olga schonend beizubringen, dass man in Firmengebäuden nicht »Huhu!« rufen sollte. Jedenfalls nicht, wenn man wollte, dass der eigene Vater dort noch lange arbeiten sollte.
»Alles super!«, meinte die deutsche Toggle-Chefin eine Stunde später, als sie ihrem Personalchef die Liste zurückgab. Hinter
Weitere Kostenlose Bücher