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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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seine verspätet eingereichte Arbeit annehmen müssen? Lassen Sie mich raten: Es ist bestimmt dieser Herr Rousseau aus Genf, dem wir den ganzen Schlamassel zu verdanken haben.«
    Obwohl seither fast vier Jahre verstrichen waren, erinnerte er sich nur zu gut: Beim Wettbewerb 1750 hatte die tumbe Dijoner Jury dem Schweizer Musiklehrer Jean-Jacques Rousseau die Goldmedaille zuerkannt. Damit war der Skandal perfekt gewesen, denn dieser aufrührerische Kleinbürger musste die an sich harmlose Preisfrage: »Hat die Wiederherstellung der Wissenschaften und Künste dazu beigetragen, die Sitten zu reinigen?« mit einem trotzigen »Nein!«bescheiden. Welch ein Affront gegen den König, der als größter Förderer von Wissenschaft und Kunst Millionen Livre an seine Untertanen verteilte!
    Montesquieu schüttelte unwillig den Kopf: »Sie irren. Diesmal heißt der Feuerkopf nicht Rousseau, und vor allen Dingen will er nicht verspätet einreichen, sondern das Gegenteil: Er will sein Manuskript zurückhaben .«
    Marivaux brach in helles Gelächter aus.
    »Und zwar im versiegelten Original«, fuhr der Baron fort. »Was allerdings nicht mehr geht, da ich den Text schon inspiziert habe.«
    Marivaux lachte noch ausgelassener. Als Komödiendichter sah er vor seinem inneren Auge sofort eine Szene, in der sein Diener Jean-Pierre den Kopf des Baron Montesquieu zusammen mit einem Manuskript aus Neapel in eine Kiste steckte und diese mit ein paar festen Schlägen vernagelte.
    »Dann üben Sie sich im Vergessen, Baron! Es wäre ein zu großer Verlust für Frankreich, dieser Forderung nachzukommen. Denken Sie daran, Sie sind ein Immortel , ein Unsterblicher. Da sollte man auf seinen Kopf ein bisschen achtgeben.«
    Mit einem letzten Glucksen bezwang er seine Heiterkeit und trug eine gravitätische Miene zur Schau: »Die Dijoner Statuten sehen keinen Rückzug vor. Wie absurd, etwas zurückzuverlangen, das man einer Akademie übereignet hat! Das ist, als wolle man …« Er suchte nach einem dramatischen Vergleich: »Als wolle man dem König das Kriegführen verbieten, nur weil dabei ein paar Landeskinder umkommen, die ihm ja doch mit Leib und Seele gehören.«
    Baron de Montesquieu blickte finster drein. Erst nach längerer Pause hob er an zu sprechen: »Ich habe die Einsendung gelesen, und soweit ich sie verstand, denn sie war in Italienisch abgefasst, dessen Ähnlichkeit mit Latein mir die Lektüre zwar erleichterte, mir aber leider nicht in jedem Punkt vollkommene Klarheit verschaffen konnte … soweit ich sie also verstand, habe ich Derartiges noch nie gelesen. Wenn auch andere Menschen Derartiges aus der Schrift herausläsen, dann …« Er stockte.
    »Dann?«, half der Sekretär nach, dem die Rede kryptisch geblieben war.
    »Dann könnte es zu Unruhen kommen. Zu Unruhen, die ich mich nicht scheue, als …«
    »Als?«, bohrte der Sekretär nach.
    »Als Ende unserer Welt zu bezeichnen.«
    »Eine Einsendung an die Académie de Dijon soll unsere Welt gefährden?«
    Marivaux brach erneut in helles Gelächter aus. Die Vorstellung gefiel dem Komödiendichter. Vielleicht der Stoff für eine Bühnenposse? Provinzielle Apotheker, Schulmeister und Advokaten bestürmten die Hauptstadt mit umstürzlerischen Plänen, die sie einem Dutzend wirrer Einsendungen entnommen hatten? Welch ein erfolgversprechendes Sujet!
    Marivaux hatte schon sehr lange keinen tosenden, mit Bravorufen vermischten Beifall mehr vernommen.
    »Lachen Sie nicht!«, wies ihn Montesquieu zurecht. »Die Schrift besteht nicht nur aus Worten. Im zweiten Teil beschreibt sie eine mathematische Komposition, deren Anwendung unser Verständnis der gottgegebenen Ordnung unterminiert.«
    »Und wo ist diese Schrift jetzt?«, fragte Marivaux, noch immer darum bemüht, seine Stimme amüsiert klingen zu lassen.
    »Hier!« Montesquieu wog einen Stapel loser Papiere in der Hand, zusammengehalten von einem grünen Seidenband. So blass hatte Marivaux den großen Denker noch nie gesehen. Immerhin galt Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, in seinen eigenen Schriften als furchtloser Tabubrecher, der selbst den König nicht von scharfer Kritik ausnahm. Im Herzen war er – man wagte es kaum auszusprechen – ein Republikaner. Und durchaus kein gemäßigter, wie man ihn in den italienischen Adelsrepubliken finden konnte, wo sich die Mitspracherechte auf hundert alteingesessene Familien beschränkten. Er war ein Demokrat . Er wollte sich dem Volkswillen unterwerfen.
    Allein den

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