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neapolitanischer Diplomat und Lebemann des frühen 18. Jahrhunderts … in der Rechtsgeschichte, soweit er sich erinnerte, eine unbedeutende Figur. Zudem interessierte Arcimboldo die Zeit vor der Französischen Revolution nicht. In seiner Jugend war er Mitglied der kommunistischen Partei gewesen und hegte weder Sympathien für die katholische Kirche noch für alten Adel. Im Gegenteil, seit Jahrzehnten konnte man ihn regelmäßig auf Demonstrationen zur Verteidigung republikanischer Werte finden.
»Dei doveri dei Principi neutrali verso i Principi guerreggianti«, wiederholte der Toggle-Mann den Titel. »Erschienen in Neapel 1782.«
»Ich bezweifle, dass unser Institut dieses Buch besitzt«, wandte Arcimboldo ein.
»Das trifft es genau!« Wieder freute sich Piero Guglielmi wie ein Kind. »Sie werden es nicht in den Institutsregalen und auch keineswegs in der Biblioteca Nazionale finden. Aber wir haben es! Für jedermann frei zugänglich unter Toggle Books.«
Er krempelte die Ärmel seines maßgeschneiderten Sakkos wieder herunter. Für jemanden, der modische Signale ignorierte, brauchte er keine hässlichen Falten in Kauf zu nehmen.
»Also Dottore: Wir möchten, dass Sie Ihren Seminaristen zu Beginn der ersten Stunde den Buchtitel nennen und sie dann auffordern, sich den Text zu besorgen. Geben Sie keine näheren Erklärungen ab. In der folgenden Stunde beginnen Sie dann mit der gemeinsamen Lektüre.«
»Aber ich kenne das Buch nicht! Allein die Vorbereitung würde mich Wochen kosten.«
»Wir bezahlen Ihnen eine bescheidene Aufwandsentschädigung.« Er machte eine Pause. »10 000 Euro.«
»10 000 Euro?« Arcimboldo rang um Fassung. »Was muss ich dafür tun? Ein Gutachten schreiben?«
»Nichts. Es geht uns nicht um Inhalte, sondern um das Verfahren.« Der Toggle-Mann lehnte sich zurück. »Wir wollen wissen, wie hoch der Bekanntheitsgrad von Toggle Books unter Studenten ist. Außerdem müssen wir die Software kalibrieren. Wie gut finden sich die Nutzer im Suchsystem zurecht? Wie schnell kommen sie zum Ziel? Diese Parameter messen wir. Sie sind auch nicht der einzige Kooperationspartner«, fügte er beruhigend hinzu. »Wir machen das in jedem europäischen Land mit je einer Partneruniversität.«
»10 000 Euro«, murmelte Arcimboldo. Er war nicht naiv. Etwas an der Sache stank. Doch sollte er tiefer bohren? Wer in Neapel tiefer bohrte, verschwand selbst in der Tiefe des Golfo di Napoli.
»Gut«, nickte der Dozent. »Ich werde mir den Text besorgen.«
»Dazu sind Sie doch viel zu beschäftigt, Dottore!« Piero Guglielmi lächelte einnehmend. »Lassen Sie das die Studenten machen und betrachten Sie die 10 000 Euro als Verbeugung vor Ihrem guten Namen und als Prämie für Ihre Diskretion. Es genügt vollkommen, dass Sie das Buch gemeinsam mit den Studenten lesen. Die Dinge entwickeln sich dann wie von selbst.«
»In welchem meiner Seminare haben Sie denn gesessen?«, fragte Arcimboldo misstrauisch. Er konnte sich wirklich nicht mehr an das Gesicht erinnern.
»Ich?« Guglielmi lachte. »Ich war nie an einer Uni. Habe ich das nicht am Telefon erwähnt? Die Freundin einer Kusine hat von Ihren Ferienkursen geschwärmt. Hier ist Ihr Geld.«
Er schob einen Umschlag über den Tisch. Arcimboldo griff gierig zu.
Im Seminarraum IV /12 der Facoltà di Giurisprudenza ließen sich die Fenster nicht öffnen, und die Klimaanlage war wegen der Urlaubszeit abgeschaltet. Sieben Frauen und fünf Männer richteten erwartungsvolle Blicke auf Guiseppe Arcimboldo, der zunächst einen Überblick über die Literatur gab. Mit leiernder Stimme zählte er die Klassiker des Völkerrechts auf, betonte die Wichtigkeit dieses von der praktischen Politik oft belächelten Gebiets und lobte die Anwesenden für ihr Engagement, sich während der Semesterferien mit der komplexen Materie zu beschäftigen.
Bei einer Studentin schienen diese Worte auf besonders fruchtbaren Boden zu fallen. Sie saß ganz vorne und hatte von Anbeginn Arcimboldos Rede mitgeschrieben. Mit zusammengepressten Lippen nickte sie, als er die Wichtigkeit des Rechtsgebiets betonte, und strahlte, als der Dozent sein kollektives Lob aussprach.
Arcimboldo fixierte sie. Streber mochte er nicht.
»Wie heißen Sie?«
»Maria.«
»Maria, schön, dass Sie unsere Protokollführerin sein wollen! Das werden wir brauchen.« Er blickte in die Runde. »Viele Ferienkurse wiederholen nur, was die Dozenten im Vorjahr gesagt haben, und das ist dann auch nur, was sie im
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