Toggle
verweilt? Oder um es mit den Worten meines Chefredakteurs auszudrücken: Werliest uns, während wir lesen? Darauf gibt es doch nur eine Antwort: Toggle Inc. aus Valley Hills in Kalifornien. Und warum? Weil sich Geld damit verdienen lässt. Viel, viel Geld!«
Der Journalist schöpfte Luft. »Und Toggle ist nicht mal das einzige Problem. Jedes Wort, das ein naiver Nutzer bei Myface eintippt, weil er glaubt, er würde damit nur seine Freunde erreichen, ist wie in einen Saal hineingerufen. Nur dass wir uns den Saal größer vorstellen müssen als diesen hier, er fasst ungefähr eine halbe Milliarde Menschen. Toggle will darüber bestimmen, was wir in unser Gehirn hineinlassen. Myface will heraussaugen, was sich schon in unserem Gehirn befindet. Stellen wir uns doch rein hypothetisch die Frage, was passieren würde, wenn Toggle und Myface miteinander ins Bett gingen? Bei der Mitgift auf beiden Seiten wächst die Geilheit doch von Tag zu Tag.«
Jewgenij Jacob Fünfgeld warf seinem Schweizer Sekretär einen bezeichnenden Blick zu.
»Der USB – Stick hat weisungsgemäß sein Ziel erreicht«, flüsterte Urs-Albert Flüeli. »Ihr Neffe durchsucht gerade seine Festplatte.«
Axel Jünger hatte sich wieder auf seinen Stuhl zurückfallen lassen und wartete auf eine Antwort.
»Zu unserem Konkurrenten kann ich nichts sagen.« Holzwanger dämpfte seine Stimme, um dem Angriff die Bedeutung zu nehmen. »Aber die Kritik an Toggle muss ich zurückweisen. Das ist weit hergeholt. Will jemand auf dem Podium dazu Stellung nehmen?«
»Technisch ist das alles kein Problem«, brummte Blavatnik, und John Frigg nickte bestätigend. »Digitalisierung des gesamten Weltwissens, Leserkontrolle. Aber Vernichtung aller Bücher? Selbst für russische Verhältnisse wäre das … ambitioniert.«
Nervös suchte Holzwanger nach Verbündeten im Raum. Wo war Melissa? Er konnte sie nicht entdecken. Nur Walter Weinberger lehnte lässig neben der Tür.
»Ich stelle fest, dass kein Dementi erfolgte«, ließ Axel Jünger wieder seine schneidende Stimme ertönen. »Was mich überhaupt nicht wundert. Toggle und Konsorten planen aus purer Raffgier, den Datenschutz abzuschaffen. Wenn es nach Toggle und Konsorten geht, wird man in wenigen Jahren das Wort Privatsphäre überhaupt nichtmehr kennen. Ja, wenn sich Toggle und Konsorten durchsetzen, bekommen wir die digitale Diktatur!«
»Aber Sie als Journalist kennen das Wort Privatsphäre!«, entfuhr es Holzwanger ärgerlich.
»Ja, ich lege bei meiner Arbeit wie im persönlichen Leben Wert darauf.«
»Dann wünsche ich Ihnen viel Glück in Ihrem Leben«, sagte Holzwanger kalt. »Vor allem beste Gesundheit. Sollten Sie allerdings jemals das Pech haben, schwer erkrankt auf einer Intensivstation zu landen, dann viel Spaß mit Ihrem Bedürfnis nach Privatsphäre.«
»Wieso?«, fragte der Journalist, leicht irritiert.
»Nun, man wird dort über die intimsten Details Ihrer Krankheit reden, ohne sich um Zuhörer zu scheren. Man wird durch den Raum schreien, dass Ihre Überlebenschance nur noch 30 Prozent beträgt und dass Sie ein Leben lang inkontinent, impotent oder zu einem künstlichen Darmausgang verurteilt werden. Sie werden erleben, wie ein Pfleger Ihrem Bettnachbarn laut die Kosten vorrechnet, die er täglich verursacht, obwohl er doch ein hoffnungsloser Fall ist. Kurzum: Sie werden wünschen, das Wort Privatsphäre nie gekannt zu haben, um Ihr Leid nicht durch falsche Maßstäbe noch zu vergrößern. Privatsphäre ist ein Luxus, den man sich nur erlauben kann, wenn es um nichts geht.«
Holzwanger war der Atem ausgegangen. Im Saal knisterte die Luft.
»Das ist doch pure Polemik«, sagte der Journalist trotzig. »Woher wollen Sie das alles wissen?«
»Doktor Holzwanger ist Arzt«, erklang Weinbergers sonore Stimme aus den Tiefen des Raumes. »Und zwar ein erfahrener.«
Na endlich!
Dieser Beistand hätte ruhig früher kommen können.
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Mellau (Buchhandlung)
Dienstag, 27. Juli, 10 : 45
Pia hatte die Udvartana-Massage, deren esoterisches Begleitgequatsche ihr gegen den Strich ging, nach einer Stunde abgebrochen und beschlossen, sich erneut im Kinder-Spa zu entspannen. Diesmal stand der ganze Bereich leer, denn die hauseigenen Animateure hatten ein Eidechsenrennen für die Kids angesetzt, das ganz offensichtlich auf größeres Interesse stieß als Eismaschine und Whirlpool.
Weil sie nichts Anständiges zu lesen hatte, hüllte sich Pia in ihren Bademantel und schlurfte durch die
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