Toggle
Gänge des Basements zur hoteleigenen Buchhandlung, einen lichtdurchfluteten Raum zwischen Rezeption und Teesalon. Für einen Moment kam sie sich peinlich unangezogen vor, aber die Buchhändlerin war solche Auftritte gewohnt. Sie wäre wohl nur eingeschritten, hätte sich Pia mit klatschnassen Haaren über die Bücher gebeugt.
Nach einer Weile des Herumblätterns entschied sich Pia für einen Roman mit dem seltsamen Titel ›Meckels Messerzüge‹. Als sie gerade an der Kasse ihre Zimmernummer nennen wollte, rumpelte ein Hoteldiener mit einer angerußten Holztruhe heran. Die Buchhändlerin verzog säuerlich das Gesicht: »Was soll das, Herr Pörtner?«, fragte sie.
»Der Sommelier hat diese Bücherkiste vorhin im Weinkeller gefunden. Schauen Sie bei Gelegenheit mal rein, sagt der Chef, und verkaufen Sie alles, was wir nicht brauchen! Wahrscheinlich wurde sie beim Brand aus der alten Bibliothek gerettet.«
»Das passt doch gar nicht zu unseren Gästen«, entgegnete die Buchhändlerin pikiert. »Lauter schmutzige alte Bücher!«
[Menü]
33
Mellau (Tanzsaal)
Dienstag, 27. Juli, 11 : 30
Im Tanzsaal hatte Reimar Dijkerhoff zu einer langen Ausführung angehoben, warum es in der Geschichte der Menschheit nie gelungen sei, den einmal entkorkten technischen Daimon wieder zurück in seine Flasche zu jagen. »Giving up the gun, wie diese Denkfigur unter englischen Kollegen lautet«, schnarrte er in seinem näselnden Tonfall, »ist ein frommer Wunsch von Technikverweigerern, die unter einer verschobenen Realitätswahrnehmung leiden.«
In diesem Moment begann die Projektion auf der Bühnenleinwand zu funktionieren. Die Toggle-Suchmaske stabilisierte sich, und man sah, wie ein Buchstabe nach dem anderen den Schlitz füllte. Nicht übermäßig schnell, denn der Togg-Jockey wollte sich nicht vertippen: Giving … up … the … gun.
Eine Fundstellenliste flashte auf. Behände flitzte der Mauszeiger über den projizierten Riesenbildschirm, blieb kurz auf einem Musikvideo stehen, als überlege der Jockey, die Gesellschaft zu einer Tanzeinlage aufzufordern, sprang dann aber zur allerersten Fundstelle zurück, aktivierte den dortigen Amazon-Button – ein Buch also! – und ließ ein buntes Cover aufpoppen. Auf diesem fuchtelte ein japanischer Samurai mit einem Vorderlader herum.
»Noel Perrin, sehr richtig!«, rief Alexandre Ranchin und klatschte begeistert in die Hände. »Trotz des Namens bedauerlicherweise kein Landsmann von mir, aber wenigstens ein Historiker und kein vor sich hin brabbelnder Philosoph.«
Reimar Dijkerhoff, der kurz zuvor ja noch behauptet hatte, niemals seien von der Menschheit erfundene Waffen wie Gewehre oder Pistolen je wieder aufgegeben worden, blickte konsterniert drein. Sollte damit seiner These widersprochen werden, dass Toggle Books als geistige Waffe ebenfalls nicht mehr aus der Welt zu schaffen sei?
Ranchin sprach mit milder Herablassung: »Hier haben wir eine schöne, wenngleich paradoxe Beweisführung. Toggle widerlegt die unbedachten Worte von Professor Dijkerhoff, indem es uns zu jener Quelle führt, die sehr wohl von der Abschaffung neuer Waffen berichtet. Wie Noel Perrin aufdeckte, haben die japanischen Samurai nach einer intensiven Nutzungsphase von immerhin hundert Jahren die darauffolgenden 300 Jahre Schusswaffen boykottiert. Das beruhte nicht auf Unwissenheit oder Unerfahrenheit, sondern auf guten Gründen. Den Samurai gefiel die ehrlose Art des Tötens mit einem Gewehr nicht. Auf diese Art konnte nämlich jeder niedere Bauerzum Kriegshelden werden, ohne zuvor die komplizierten Riten des Schwertkampfs eingeübt haben zu müssen.«
Man sah, dass Dijkerhoff dem kleinen Franzosen keinen Glauben schenkte.
Ranchin fuhr unbeirrt fort: »Ja, man muss sogar von einem Triumph der Ästhetik über die Gewalt sprechen! Wissen Sie, wie unpräzise Gewehre früher waren? Welch schreckliche Zerstörungen ein- und austretende Kugeln hinterließen? Fast dreihundert Jahre lang schafften es die Japaner, sich dieser Barbarei zu widersetzen und ihre hochelegante, schön anzusehende Kriegskunst weiter zu praktizieren.«
Er blickte versonnen auf die große Leinwand, als erwarte er dort detaillierte Illustrationen zu seinen Ausführungen. Da sie ausblieben, fuhr er mit einer Spur von Enttäuschung in der Stimme fort. »Das ist also die Korrektur der Falschaussage von Professor Dijkerhoff. Zugleich aber stützt Toggle die Meinung des werten Kollegen, indem genau dieser Vorgang hier die
Weitere Kostenlose Bücher