Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Toggle

Toggle

Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
Vom Netzwerk:
lange bei einem Kredithai gearbeitet.
    »Solche Umgangsformen bezüglich der Presse billige ich nicht!«, explodierte Fünfgeld. »Das entspricht nicht unserer Grundregel, jedes Aufsehen zu vermeiden!«
    In Flüeli rumorte es. Die Scheinheiligkeit, mit der sein Arbeitgeber andere die Dreckarbeit machen ließ und sich dann nach Gusto von deren Ergebnissen distanzierte, ärgerte ihn mächtig.
    »Betrachten Sie diesen Kerl als irregulären Kombattanten«, stieß der Ex-Diplomat hervor. »Völkerrechtlich gesehen, schützt dieser Status keinesfalls vor …«
    »Ich weiß, was ein irregulärer Kombattant ist«, unterbrach ihn Fünfgeld wütend. »Aber wir befinden uns nicht im Krieg. Wir machen Geschäfte.«
    »Auch bei Geschäften gibt es reguläre und irreguläre Mitspieler. Dieser Mann ist zu neugierig.«
    Fünfgeld setzte den Streit nicht fort. Sein Blick ging am Sekretär vorbei und fixierte das lodernde Feuer im Kamin. »Und wie bewerten Sie den Ausfall der Toggle-Managerin?«, fragte er nach einer Weile, wieder gelassener.
    »Damit habe ich nichts zu tun«, sagte Flüeli rasch.
    »Haben wir etwas damit zu tun?«
    Flüeli zuckte mit der Schulter. Aus dem angrenzenden Teesaal drang das laute Gelächter einer Kartenspielrunde herüber. Stumm wies Fünfgeld seinen Sekretär an, die Störung abzustellen. Flüeli ging zur hohen Tür, die Kaminzimmer und Teesaal voneinander trennte, und schloss sie behutsam. Im letzten Moment drückte sich ein Mann an ihm vorbei in den Raum.
    »Das einzige Asyl für Minderheiten wie mich«, entschuldigte er sich. Dann trat er an den Kamin und brachte am offenen Feuer zwei Zigaretten zugleich zum Glimmen.
    Flüeli kehrte zu seinem Arbeitgeber zurück. Er wollte die Wogen glätten.
    »Was ich nicht verstehe«, ließ er seine Stimme schmeichlerisch erklingen, »warum streben wir die Verschmelzung von Toggle und Myface an, wenn die eine Firma ganz offensichtlich finanzielle Probleme hat und die andere von allen Seiten unter Beschuss steht?«
    Der Oligarch lehnte sich im Sessel zurück. »Reine Gefühlssache, Flüeli«, meinte er entspannt und nippte an seinem Cognac. »Und was Myface angeht, müssen Sie wissen, dass für einen Menschen, der in der Sowjetunion groß«, plötzlich lachte er schallend, »und reich geworden ist, der Begriff soziales Netzwerk einen ganz eigentümlichen Klang hat. So als sei auf Lenin Trotzki gefolgt und nicht Stalin.«
    Am Kamin wandte sich Professor Alexandre Ranchin um: »Pardon Messieurs, ich vernahm eben das Wort ›Sowjetunion‹. Darf ich vermuten, dass Sie den Umbruch an interessanter Stelle miterlebten? Als Historiker bin ich immer auf der Suche nach Bausteinen für meine Revolutionstheorie.«
    Flüeli hatte den Mann schon auf dem Podium lächerlich gefunden. Jetzt fand er ihn vollends albern.
    »Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
    Fünfgeld deutete auf einen freien Sessel neben sich. »Bitte«, sagte er. »Als Kapitalist liebe ich Revolutionstheorien.«
    Er verzog keine Miene dabei.

[Menü]
Dritter Teil
Die Lektüre

[Menü]
    50
   Turin
Dienstag, 27.   Juli, 22   :   30
    Giancarlo Arcimboldo hatte Verdis Messa da Requiem in der Interpretation von Claudio Abbado aufgelegt und fragte sich an einer besonders pathetischen Stelle, die ihn an die eigene Flugangst erinnerte, ob ein 100 Euro teurer Kurierdienst Linienflug, Charter oder Ryanair benutzte? Da klingelte es an der Wohnungstür, und der Eilbote hielt ihm ein Touchpad unter die Nase.
    »Sie sind Signor Arcimboldo? Hier unterschreiben!«
    Der Dozent nahm den gezückten Plastikgriffel entgegen und krakelte ein paar Bögen auf das druckempfindliche Display, die mit seiner Signatur wenig zu tun hatten.
    »Aus Deutschland«, meinte der Eilbote und reichte ihm ein mit Klebeband völlig umwickeltes Päckchen. »Könnte man aus dem Flugzeug werfen, ohne dass es aufplatzen würde.«
    Arcimboldo murmelte ein flüchtiges »Grazie«, schloss die Tür und ging in die Küche. Abbado war schon beim Lacrymosa angekommen, als er das Buch endlich aus seinem Kokon befreit hatte. Auch nach 250 Jahren roch dessen Einbandleder noch frisch, gar nicht so wie die muffigen Exponate aus der Biblioteca Nazionale. Und es war außerordentlich angenehm anzufassen.
    Ein leiser Schauer rieselte ihm über den Rücken. ›Vermutlich aus Menschenhaut‹, hatte der Antiquar im Internet geschrieben. Täuschte er sich – oder sah er braune Blutflecken vom Abhäutungsprozess auf dem Papier?
    Unsinn!
    Dennoch entsann sich

Weitere Kostenlose Bücher