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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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mit Dokumenten versorgen wollen, sollen sie wenigstens vorher am Kopierer schwitzen! Am Kopierer erwischt man sie nämlich, so ein Ding macht ordentlichen Lärm. Ganz im Gegensatz zu einer Datei, die man einfach weiterleitet.«

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    47
   Mellau (Park)
Dienstag, 27.   Juli, 17   :   30
    Pia stand an der Abrisskante des Plateaus und ließ ihre Blicke schweifen. Im weitläufigen Gelände nach einem Paar Kindersandalen zu suchen, erschien ihr fast aussichtslos. Zumal sich der fünfjährige Besitzer nicht mehr daran erinnern konnte, wo er seine Sandalen abgestreift hatte. Vermutlich lagen sie genau dort, wo die rotweißen Absperrbänder der Polizei im Wind flatterten, und wurden von der Spurensicherung als Indiz für einen zwergenhaften Täter betrachtet.
    Seltsam, dass ihr Sohn so robust auf die ganze Angelegenheit reagiert hatte.
    Scharfer Zigarettenrauch stieg Pia in die Nase. Unter einem Sonnenschirm, fünfzig Meter von ihr entfernt, stand Alexandre Ranchin und unterzog seine Lungen der üblichen Abhärtungskur.
    Irgendwie mochte Pia den kettenrauchenden Franzosen.
    Sie ging auf ihn zu.
    »Das ist alles ein wenig merkwürdig, Madame«, begrüßte sie der Historiker. »Wir verlieren ein Mitglied, und keiner trauert. Oder trauern Sie?«
    »Der Schock überdeckt unsere Fähigkeit zu trauern«, sagte Pia.
    »Mh.« Ranchin schien mit der Antwort unzufrieden. »Neigte ich zur Unhöflichkeit, würde ich das als Plattitüde bezeichnen.«
    »Ist auch eine«, gab Pia zu. » Sie war das IAS – Mitglied?«, durchfuhr es sie plötzlich. »Melissa Stockdale?«
    Ranchin nickte.
    »Aber …« Pia schüttelte den Kopf. »Sie stand nicht auf meiner Mitgliederliste!«
    Der Professor lachte: »Wie viele Mitglieder haben Sie gezählt, Madame?«
    »Ich weiß nicht mehr genau … 583? Ja, ich bin die 584.«
    »Und wie beliebt uns der unwissende Pöbel draußen in der Welt zu nennen?«
    »The Thousend« , antwortete Pia linkisch.
    »Le Millier« , bestätigte Ranchin. »Das ist doppeldeutig, non? Einerseits besagt es, dass nur einer von Tausend unsere Bedingungen erfüllt. Andererseits haben wir auch tausend Mitglieder. Im Minimum! Wir versuchen, nie unter diese Grenze zu rutschen. Das hat mit Netzwerkfunktionalität zu tun. Tausend vernetzte Menschen können ziemlich viel bewegen.«
    »Das heißt, es gibt 416 anonyme Mitglieder?«, schlussfolgerte Pia.
    »Allerwenigstens 416.«
    »Aber warum? Warum geben sie sich nicht zu erkennen?«
    »Wissen Sie, Madame«, sagte der Franzose und zündete sich zwei neue Gitanes auf einmal an, »in nur sehr wenigen Lebensbereichen wird hohe Intelligenz positiv bewertet. Genau genommen nur in einem, der Wissenschaft. Wer bereits Wissenschaftler ist, wenn er bei Le Mellier aufgenommen wird, hat nichts zu verlieren. Wer hingegen noch anderswo Karriere machen will, in einem Wirtschaftskonzern zum Beispiel, ist besser beraten, sein intellektuelles Vermögen nicht zu laut hinauszuposaunen. Und wenn er gar als Politiker kandidieren will –«
    »… dann stellt er sich lieber dumm«, ergänzte Pia.
    »Alkoholprobleme oder Steuerhinterziehung sind jedenfalls verzeihlicher als ein IQ über 140«, stellte Ranchin fest. Dann blickte er versonnen über die Landschaft. »Ein schöner Ort. Die IAS wird sich hier noch einmal wohlfühlen, denke ich.«
    »Sagten Sie nicht gestern, wir versammeln uns nicht?« Pia war verblüfft.
    »Irgendwann ändert sich alles. Kennen Sie unser Motto?«
    »Intelligenz ist Wissen über den Feind«, hörte sich Pia sagen. Die aggressive Diktion des Slogans gefiel ihr nicht. Wieso war ihr das nicht früher aufgefallen?
    » Intelligence is information about the enemy, ganz recht! Das ist natürlich pure Ironie. Wir haben uns den Satz bei der CIA ausgeborgt. Aber glauben Sie nicht, dass es dort besonders viele Mitglieder gibt.« Ranchin lachte. Dann verdüsterte sich seine Miene. »Vielleicht muss man sich irgendwann mal in seiner Gesamtheit zeigen, um ein Gegenmodell anzubieten.« Ein Hustenanfall erschütterte seinen Körper, er konnte nicht mehr weiterreden.
    »Wo finde ich die Sandalen meines Sohnes?«, fragte Pia stattdessen. »Das ist auch eine Intelligenzfrage.«
    Alexandre Ranchin winkte ab, bis sich sein Husten gelegt hatte. Dann deutete er mit dem Arm in Richtung Senke. »Da unten«, sagte er, »sehen Sie die scharf geschnittene Linie im Gras? Links davon, am Pool und bei den Tennisplätzen, ist das Gras niedrig gemäht. Rechts davon wächst die Wiese kniehoch. Sie

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