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Entscheidungsprozess nun erst. Denn mit dem einfachen Auszählen der Köpfe ist es nicht getan. Nunmehr wird der Wert jeder einzelnen Stimme anhand von Eod ermittelt, was man freilich vernünftigerweise schon zuvor getan hat, um den Ablauf flüssig zu halten. Eine Vorlage siegt, wenn die Summe der Stimmenwerte dafür die Summe der Stimmenwerte dagegen übertrifft. Ich erlaube mir bei der folgenden arithmetischen Notation auf eine briefliche Anregung des Hr. Euler zurückzugreifen, der das griechische Sigma als Summenzeichen empfiehlt:
Abstimmungssieg = ∑ Stimmen-pro > ∑ Stimmen-contra
Giancarlo Arcimboldo rieb sich die Augen und sah auf die Uhr. Die Zeiger deckten sich auf der Zwölf. Mathematik war nie die Stärke des Turiner Rechtshistorikers gewesen, erst recht nicht zu fortgeschrittener Stunde. Dennoch las er weiter. Man musste Einsteins Weltzerstörungsformel e = mc 2 nicht physikalisch nachvollziehen können, um deren Destruktivität zu begreifen. Was zerstörerisch wirkte, entlarvte sich oft schon durch die Beispiele, mit denen die Theoretiker ihre Gedanken anschaulich zu machen versuchten:
6 gegen 6 Köpfe könnte also heißen: 6,56 gegen 4,99 Stimmengewichte. Es könnte auch heißen 1234 gegen 0,01 Stimmengewichte! Wir erinnern uns der einzigen Bedingung: Stimmengewicht > 0 < ∞. Aber solch ein Vorkommnis lässt sich vermeiden, indem man die Variablen in einem leicht zu handhabenden Bereich ansiedelt, etwa rund um die Bezugsgrößen 1, 10 oder 100.
Ebenso simpel und selbst für Kinder einleuchtend lässt sich der Wert jeder Stimme in Bezug auf ihre Einzelteile berechnen. Bei 36 Variablen lautet die Formel:
Ein kluger Mann wird nun bemerken, dass das Wohl und Wehe der Staatsmaschine ausschließlich von der ingeniösen Konzeption der Variablen abhängt. Dem vermag ich nicht zu widersprechen. Er wird des Weiteren sagen, dass der Wert einer Variablen keinesfalls willkürlich gesetzt werden dürfe, da sich sonst jeder ein hohes Stimmgewicht herbeizuschwindeln versuchte.
Auch das ist völlig korrekt.
So machte ich mich denn auf die Suche nach Faktoren, die dieser Gefahr trotzen, weil sie aufgrund besonderer Eigenheiten unmanipulierbar sind. Drei davon will ich skizzieren: das Lebensalter, das Geschlecht und die Gesundheit.
Beim Lebensalter zählen wir die Tage bis zum Tod. Da wir über dessen Zeitpunkt natürlich nichts wissen, behelfen wir uns mit einer künstlichen Setzung: 60 Jahre müssen jedem von uns genügen! Diesen Wert habe ich selbstredend nicht aus der Luft gegriffen, sondern entnehme ihn den Schriften der ehrwürdigen Herren John Graunt und William Petty aus dem Königreich Britannien, die bereits in den Jahren um 1680 ermittelten, wie alt die Menschen ihres Landes zu werden pflegten. Sollte dieser Fortschritt in den Wissenschaften eines Tages auch Neapel erreichen, werde ich den Wert gemäß der landestypischen Fakten nach oben oder unten korrigieren. Einstweilen tut es auch die an Graunt und Petty angelehnte Setzung, denn solange ihr alle Beteiligten gleichermaßen unterworfen sind, ist es egal, ob man den Tod bei 60, 70 oder gar 80 Jahren ansetzt.
Ich nehme die 60.
60 Jahre unterteilen sich abzüglich der Schaltjahre in 21 900 Tage. Rechnen wir der Einfachheit halber so, als seien am 30. Geburtstag 10 950 Tage vergangen, während dem Jubilar noch weitere 10 950 verbleiben. Jegliche Entscheidung, die jemand nach dem 30. Geburtstag fällt, betrifft im Vergleich zum Zeitraum vor diesem Stichtag also stets eine kürzere Periode. Demnach muss sein Stimmgewicht, das wir für den Tag der Balance zwischen Vergangenheit und Zukunft mit 1 eichen, Schritt um Schritt vermindert werden. Umgekehrt dürfen wir, je jünger ein Abstimmender ist, desto mehr zu dieser 1 addieren, weil er die Folgen seiner Entscheidung länger als Ältere verspürt.
Absteigend von 30: ein Aufschlag im Stimmgewicht.
Aufsteigend von 30: ein Abschlag im Stimmgewicht.
Am 60. Geburtstag sind wir durch unsere Annahme des fiktiven Todesdatums bei 0 angekommen. (Wer den genauen Verminderungsfaktor je Tag erfahren will, studiere die entsprechenden Tabellen auf dem beigefügten arithmetischen Bogen.) Was hat das für Folgen? Nun, imaginieren wir eine Runde aus zwölf Abstimmenden und werfen ausschließlich diesen Faktor in die Waagschale, so könnte schon ein Jüngerer das Gros der Alten nahe der 60 Jahre überstimmen. Ein Umstand, der mir mit meinen 26 Lenzen verständlicherweise herzliche
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