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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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unendlich (S   >   0   <   ∞) an. Diese Zahl ist nicht fixiert, sondern flexibel und wird in einem nicht zu kleinen (>   1 Stunde) und nicht zu großen Zeitraum (<1 Jahr) für die jeweilige Person regelmäßig frisch ermittelt.
    Praktisch heißt das: Wenn ich am 1.   Januar meine Stimme in die Waagschale einer Entscheidungsfindung werfe oder um ein Amt kämpfe, so tue ich das mit einem anderen Stimmgewicht als am 15.   März oder 30.   August. An all diesen Tagen bin ich ein anderer Mensch, dessen Stellung in der Welt unterschiedlich bewertet werden muss. Selbstredend fallen meinen Mitentscheidern oder Kontrahenten ebenfalls schwankende Stimmgewichte zu. Als Siegbedingung im Abstimmungsstreit definieren wir folglich statt des starren »Patt   +   1« ein fluides »Patt   +   x«, wobei für x gilt: x   >   0   <   ∞.
    Habe ich eben doch unwillkürlich zum Alphabet Gottes gegriffen?
    Urteile selbst, hochverehrter Leser: Kann es von Schaden sein, die Sprache des Herrn auf so milde Weise beigebracht zu bekommen?
    In dieser neuen Ordnung, die in großen wie in kleinen Menschengruppen funktioniert, wird es immer ein Ungleichgewicht der Stimmen geben, so dass unser gefürchtetes Patt zwar theoretisch denkbar bleibt, praktisch aber kaum vorkommt. Dazu sind die Unterschiede zwischen den Menschen zu gewaltig! Nun mag man einwenden, ein solches System ließe sich vereinfachen, indem man einem Herzoggrundsätzlich mehr Stimmgewicht verleihe als einem Kaufmann, einem Abbé weniger als einem Bischof, doch wäre das ein ebenso totes System wie jenes der Erbmonarchie mit ihren Pfründen: Nichts bewegte sich, alles rastete in einer bestimmten Stellung ein, wer etwas erreichte – von Geburt an oder durch erworbene Meriten –, verharrte auf einem Status auch dann noch, wenn er sich dessen längst nicht mehr würdig zeigte!
    Echte Gerechtigkeit aber zollt der Zeit als entscheidendem Lebensfaktor Anerkennung: Zu jedem Zeitpunkt sind wir ein anderer als zu einem vorigen und zu einem künftigen. Also kann auch der Wert unserer Stimme niemals zu allen Zeiten gleich sein! Er schwankt nach oben wie nach unten, und diese Schwankungen aufzufangen, in Zahlen zu fassen und in einer Formel zu verrechnen, ist die Aufgabe einer wahrhaft gerechten Staatsmaschine.
    Giancarlo Arcimboldo stand der Schweiß auf der Stirn. Er ahnte, dass die Menschen dieser Phantasmagorie hinterherlaufen würden. War sie zum Zeitpunkt der Niederschrift noch ein nahezu utopisches, auf Jahrhunderte hinaus nie realisierbares Projekt gewesen, so stand ihr jetzt nur noch das Fehlen eines binären Codes entgegen. Denn richtig interpretiert enthielt das Buch die Handlungsanweisungen zu einem Computerprogramm: Jener Ferdinando Galiani entwarf die Regeln einer Menschenwertberechnung , die in einer Konstante mit dem seltsamen Namen Eod kulminierte:
    Eod soll aus 36 Variablen bestehen. Um jedes schönfärberische Verhalten aus meiner Formel zu bannen, suchte ich nach Variablen, die der Mensch nicht selbst beeinflussen kann, obschon sein Verhältnis zur Welt von ihnen bestimmt wird. Beispielsweise erscheint mir das Körpergewicht als solch ein Faktor.
    Ist jemand in guten Erntejahren ein beleibter Vielfraß, so hebt er durch seinen erhöhten Bedarf an Speis und Trank (womöglich auch durch seine spendable Gastfreundschaft) die Ökonomie seines Landes. Ein zwingender Bonus in der Rangskala aller Einwohner muss die Folge sein, hat das Stimmgewicht doch stets den Zusammenhang zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft im Auge. Ist er hingegen dick in einer Hungersnot, verkehrt sich der Bonus in einen scharfen Malus, denn nun belastet er bei gleichbleibendem Appetit die Ökonomie seines Landes.
    Die Variable »Körpergewicht« verändert also ohne eigenes Zutun durch bloße Umbrüche in der Umwelt ihre Bedeutung. Was an dieser Idee aufsehenerregend ist, versteht man, wenn man die zugrundeliegenden Prinzipien begreift. Ich fasse sie in zwei Fragen:
    Wie führt Eod eine Entscheidung herbei?
    Woher nimmt Eod die Zahlenwerte?
    Ersteres ist einfach beantwortet: Gleich allen überkommenen Entscheidungsprozessen muss zunächst ein strittiger Sachverhalt aufgeworfen sein, der sich mit Ja beantworten oder mit der Zustimmung zur Ablehnung verneinen lässt. Wie gehabt, geben die Abstimmenden ihre Voten ab und erzielen dabei ein Ergebnis von beispielsweise 6 zu 6 Köpfen.
    Nach alten Gebräuchen wäre hier Schluss.
    Nach neuem Gebrauch des Eod-Systems beginnt der

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