Toggle
Freude bereitet.
Die Flasche Fernet-Branca war leer. Giancarlo Arcimboldo ging in die Küche, um nach weiteren Betäubungsmitteln für seine kaum auszuhaltende Empörung zu suchen. Er war 58 Jahre alt. Nach Meinung dieses unsäglichen Traktats genügte das, um ihn politisch zu entmündigen. Das passte zum herrschenden Ungeist der Altersdiskriminierung, zur Hetze gegen Minderheiten und zum Vormarsch rechtspopulistischer Parteien in Europa. Dem Dozenten war speiübel vor moralischer Abscheu. In den Schränken fand er nur eine verkrustete Flasche Amaretto aus längst vergangenen Tagen, in denen er hin und wieder eine Studentin bezirzt hatte. Unverrichteter Dinge, doch unfähig, sich der Faszination des Buches zu entziehen, kehrte er zur Lektüre zurück. Sein Blick stockte. Wurde er jetzt auch noch verhöhnt?
Ich vernehme leise Proteste von dir, unvergleichlich aufmerksamer Leser. Gemach – die Altersvariable macht ja nur ein Sechsunddreißigstel von Eod aus. Vergessen wir darüber nicht das Geschlecht. Diesem Punkte sei vorangestellt, dass der Baron de Montesquieu und seine republikanischen Anhänger nachhaltig irren, indem sie blind den Torheiten der alten Griechen folgen: Das schwache Geschlecht von jeglicher Verantwortung für die Staatsmaschine auszunehmen, ist eine unverzeihliche Dummheit, da der Geschlechterunterschied ganz wesentliche Auswirkungen auf unser aller Leben hat.
Nehmen wir nur den Fall, ein Krieg habe einen ganzen Landstrich entvölkert, und einer geringen Zahl von Männern stünden zweimal so viele Frauen gegenüber. Wer könnte allen Ernstes diesen die Mitbestimmung gewähren, während er sie jenen verweigerte, die doch als Mütter ungleich mehr zur Wiederbevölkerung beitragen als die Väter?
Den Frauen kommt also mit Fug und Recht die gleiche Teilhabe am öffentlichen Leben zu wie den Männern. Allerdings unterwirft uns dies formale Zugeständnis keinem so starren Schicksal, wie es das Geschlecht im Alltag tut: Nie wird ein Mann Kinder gebären – wohl aber wird er zu einer Zeit sein Weib mühelos überstimmen, während er zu einer anderen dessen Gewicht unterliegt.
Nehmen wir erneut das Beispiel des Krieges: Während die Kanonen donnern, übersteigt der Wert eines Mannes unzweifelhaft den einer Frau. Zwar hat der Krieg in seiner Gefräßigkeit schon Tausende von Soldaten verschlungen, doch um den Sieg zu erringen, fordert er ein Vielfaches davon. So wächst der Wert eines Mannes mit jedem Gefallenen, bis die letzten Wehrfähigen so teuer geworden sind, dass man sie nicht mehr auf dem Schlachtfeld opfern mag. Der Frieden tritt ein, wenngleich in Form einer Niederlage. Bis diese endgültig feststeht, gelten Frauen als Kostgängerinnen von geringer Bedeutung.
Nach Ende des Krieges verkehren sich die Verhältnisse freilich sofort, denn nun kann Not am Manne nur durch Frauen kompensiert werden. An Stelle der Gefallenen übernimmt das schwache Geschlecht ohne Murren die Alltagsgeschäfte, zieht die Kinder auf, während es zugleich die Äcker bestellt, ja vermutlich sogar in derLage wäre, alle öffentlichen Geschicke zu bestimmen, ließe man dies zu.
Je länger ich darüber nachdenke, verehrter und unübertrefflicher Leser, desto mehr gerate ich ins Grübeln, ob dem Manne jenseits kriegerischer Zeiten überhaupt ein Stimmgewicht > 1 zugewiesen werden soll?
Bevor ich hierüber zum Verräter am eigenen Geschlecht werde, wende ich mich lieber dem Feld der Gesundheit zu. Ohne Zweifel spielt dieser Faktor eine herausragende Rolle im Konzert der 36. Ein kranker Mann vermag nicht weise und gerecht abzustimmen, weil er entweder zu sehr in sein eigenes Leid vertieft ist, als dass er die Belange anderer noch zu würdigen wüsste, oder weil sein Lebenslicht schon kurz vor dem Erlöschen steht, und sich darum sein Stimmgewicht analog zum Altersfaktor auf null zubewegt.
Doch wie bekommt man Fragen zur Gesundheit ehrlich beantwortet? Verführen sie uns nicht alle zur Lüge, indem wir lautstark jammern, wo es bei Bagatellen wenig zu klagen, aber viel Mitleid zu ergattern gibt, während wir ernste Breste verschweigen, sofern sie uns untauglich für lukrative Ämter und Würden machen?
Das bereitete mir einiges Kopfzerbrechen.
Schließlich ersann ich folgenden Mechanismus: Jeder Gesunde erhält ohne bohrende Nachfragen ein Stimmgewicht von 10 verliehen. Doch wer sich dazu versteht, eine Krankheit zu offenbaren, erhält 3 Bonuspunkte daraufgepackt und landet bei einem Stimmgewicht von 13. Für die
Weitere Kostenlose Bücher