Toggle
drei Monate. Damit fehlen allerdings immer noch sieben Ringrunden zur Legitimation Ihrer jetzigen Position.«
»Das heißt?«
Weinberger durchbohrte ihn mit einem Blick. Holzwanger konnte sich die Frage selbst beantworten.
»Schon gut.« Der ehemalige Radiologe erhob sich. »Ich hatte ohnehin andere Pläne. Weniger Luxus, aber dafür auch keine Gewalttaten im beruflichen Umfeld und mehr Zeit für die Kinder.«
»Setzen Sie sich!«, befahl Weinberger. Seine Stimme hatte ihre alte Schärfe zurückgewonnen. »Das mit den Gewalttaten ist noch nicht raus. Sie werden das klären. Und zwar als deutscher Toggle-Chef.«
Holzwangers Schweigen ließ offen, ob er die Botschaft verstandenhatte. Dann zog er eine Augenbraue hoch: »Ohne acht Vorstellungsgespräche?«
»Es gibt Ausnahmen. Sie kennen die Geschichte mit der Werbetafel an der Route 101 von San Francisco nach San Mateo? Nein? Jeder kennt sie in der Branche.«
Weinberger zog einen silbernen Drehbleistift hervor, notierte etwas auf seiner Zeitung und hielt sie seinem Gegenüber hin. »Würden Sie das für eine Stellenausschreibung halten?«
{Die erste zehnstellige Primzahl in den Kommastellen von e}.com, las Holzwanger. Er betrachtete den merkwürdigen Satz eingehend. Dann schüttelte er den Kopf.
»Fragen Sie mich nicht, warum die Klammer geschweift sein muss«, knurrte Weinberger. »Ich weiß allerdings, dass e die Eulersche Zahl ist.«
»Eklammerdotcom«, murmelte Holzwanger und kratzte sich am Kinn. Pia hätte sofort eine Idee dazu gehabt.
»Oh, das Schlüsselelement ist einfach zu verstehen«, erklärte der Toggle-Chefstratege. »In Klammern steht die mathematische Aufgabe, und an das numerische Ergebnis hängt man Dotcom an. Damit erhält man eine Internetadresse, und wenn man sie ansurft, warten dort weitere Aufgaben. Die Lösung lautet 742undsoweiter.com … ist inzwischen natürlich ein toter Link. Wer den gesamten Parcours absolvierte, ich glaube, es waren zwölf Rechenaufgaben, bekam einen Programmierjob bei Toggle. Ohne Vorstellungsrunden!«
»Ich hatte keine Aufgaben zu lösen«, warf Holzwanger ein.
»Richtig. Aber erinnern Sie sich noch, wie Sie auf die Stellenanzeige aufmerksam wurden?«
Holzwanger dachte nach. Das war in seiner Zeit beim Zündkerzen-Primus gewesen, als er abends oft nichts anderes zu tun gehabt hatte, als ziellos durchs Internet zu toggeln. »Ja, sie erschien zufällig bei einer Suche, als Anzeige rechts neben den Fundstellen. Das Stichwort dazu habe ich vergessen.«
»Zufällig …« Weinberger nickte vielsagend. »Ist Ihnen schon mal die Idee gekommen, dass diese Anzeige vielleicht nur auf dem Bildschirm einer einzigen Person auftauchte?«
Holzwanger schüttelte den Kopf.
»Es gibt Unstimmigkeiten«, sagte Weinberger mit gedämpfter Stimme. »Nehmen Sie den Job an?«
»Welchen?«, fragte Holzwanger gedankenverloren.
»Deutschlandchef. Natürlich nehmen Sie an! Ich packe 100 000 auf Ihr jetziges Gehalt drauf.«
»Was für Unstimmigkeiten?« Holzwanger wurde wieder wach.
»Informationen nur gegen Zuschlag!« Weinberger sah ihn beinahe bedrückt an, was gar nicht seiner Art entsprach.
Holzwanger dachte an sein beengtes Reihenhaus in der Elbmarsch. Mit 100 000 Euro mehr im Jahr konnte sich die Familie zweifellos etwas Größeres leisten. Aber Unstimmigkeiten waren ein anderes Wort für Ärger.
Und Ärger kostete entschieden mehr.
[Menü]
53
Mellau (Buchhandlung)
Mittwoch, 28. Juli, 8 : 40
Reimar Dijkerhoff schlug mit der flachen Hand gegen die Scheibe der Hotelbuchhandlung. Das Geräusch schreckte die Betreiberin auf. Sie sah von ihren Auspack- und Registrierarbeiten hoch, erhob sich und kam zur Tür. Die nachdrückliche Art des Professors ließ ihr keine andere Wahl. Eigentlich war der Laden noch geschlossen.
»Das ist aber eine Freude, Sie wiederzusehen!«
»Tun Sie nicht so!«, raunzte der Philosoph. »Sie wissen natürlich längst, dass ich hier bin. Denn Sie haben meine Bücher in rauen Mengen vorbestellt.«
»Habe ich«, antwortete die Buchhändlerin folgsam. Sie ahnte, was gleich kommen würde.
»Nun, dann habe ich im Gegenzug die außerordentliche Freude, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass ich alle Bücher kostenlos signieren werde.«
»Darüber bin ich sehr froh«, log die Buchhändlerin und dachte schmerzlich an die vielen signierten Dijkerhoff-Bücher früherer Veranstaltungen, die ihr Lager verstopften. Entgegen der Autorenüberzeugung, die Unterschrift mache ein Buch
Weitere Kostenlose Bücher