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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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wenngleich für manche Zwecke zu scharf geschliffenes Messer. Beim Vorfall Anfang Juli war es unter den Scanner gerutscht, und die Umstände hatten damals nicht erlaubt, es wieder aus der Ritze herauszufischen. Jetzt konnte er wieder zugreifen!
    »Nach Prützke. Liegt in der Nähe von Lehnin.«
    »Lenin? Roter Platz?« Der Jungspund sah ihn erschrocken an.
    »Unsinn«, erklärte Purgler. »Vorne links, und dann der Beschilderung zur Autobahn folgen.«

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    56
   Prützke
Mittwoch, 28.   Juli, 9   :   15
    Nach dem Streit mit ihrer Mutter hatte Anna-Katharina schweigend ihr Frühstück heruntergeschlungen und dabei die letzten Seiten des vierten Bandes vom ›Stillen Don‹ gelesen, der einzigen Schwarte aus dem Antiquariat, die sie über die letzten fünf Wochen zu fesseln vermocht hatte. Nun war es an der Zeit, etwas zurückzuholen.
    In der Nacht hatte sie ein Buch in Flammen aufgehen sehen und war aus diesem Albtraum mit einem lauten Schrei erwacht. Sogar ihre Eltern, die sonst tief und fest schliefen, hatten diesen Schrei gehört und waren vom Schlafzimmer im ersten Stock zu ihr ins Dachgeschoss hochgerannt gekommen. Beide mit ehrlicher Bestürzung im Gesicht. Aber derartige Beweise elterlicher Sorge gab es in der Familie Loibl immer nur für ein paar Minuten. Jetzt trat ihre Mutter in die Küche und raunzte sie an, sie solle, wenn sie schon überflüssigerweise nach Brandenburg fahre, keinesfalls die Schilddrüsenmedikamente für den Vater vergessen.
    »Ja, Mama«, sagte Anna-Katharina entnervt. Die Apotheke, bei der es immer besonders viele kostenlose Kräuterteeproben für die Mutter gab, lag am entgegengesetzten Ende der Stadt.
    »Bald fängt die Schule wieder an.«
    »Brauchst du nicht extra zu erwähnen.«
    »Und du hast wieder nur gelesen, die ganzen Ferien! Statt was Sinnvolles zu machen! Die Nicole aus der Gärtnerei Disselhoff hat im Büro ihrer Eltern die gesamte Buchhaltung auf Excel –«
    »Ja, Mama«, wiederholte Anna-Katharina. Diese Steinzeitmenschen, die sich ihre Eltern schimpften, hielten sich für fortschrittlich, nur weil sie ein paar Zahlen in Excel eintippen und bei Toggle Öffnungszeiten abfragen konnten. Was Zivilisation eigentlich bedeutete, würden sie nie begreifen.
    Das Mädchen stand auf und ging seinen Rucksack packen.
    Allerdings machte der Plunder aus dem Antiquariat Sturm über Petersburg auch keine gute Reklame für eine bessere Welt. Alles DDR – Schrott. Nur ein einziges Buch behielt Anna-Katharina bei sich. Der Antiquar würde es nicht merken.
    Der Parkplatz gähnte wie immer menschenleer in der morgendlichen Sonne, von den Dorfbewohnern ließ sich keiner blicken. Als sich Anton Purgler mit jugendlichem Elan aus dem Lexus schwang, war er noch guter Dinge. Doch als er das Rolltor der Lagerhalle ein paar Zentimeter bewegt hatte, um einen Blick ins Innere zu werfen, zuckte er zusammen.
    Alle Bücher waren weg, die Maschinen ebenfalls.
    Purgler roch den faulen Braten förmlich.
    Der Jungspund hatte ebenfalls das Auto verlassen und vertrat sich die Beine. Kein muskelbepackter Athlet, aber die Kleinen machten oft den meisten Ärger. Außerdem war das Zucken in seinem Gesicht stärker geworden. Purgler kniff die Augen zusammen: Am rechten Unterschenkel trug der Kerl ein Messerholster. Man konnte es deutlich sehen, wenn der Wind den leichten Hosenstoff gegen die Wade drückte.
    Also doch!
    Betont langsam ging Purgler zum Auto zurück.
    »Innen Puff«, sagte er. »Ich kenn hier was um die Ecke. Unverbrauchte Landhühner. Du darfst auch, wir setzen’s auf meine Spesenrechnung.«
    Der Jungspund kommentierte weder das überraschende Du noch das großzügige Angebot, sondern drehte sich wieder dem Wagen zu. In diesem Moment sprang ihn Purgler von hinten an, verbuchte das Überraschungsmoment für sich, riss dem Schmächtigen entlang der Naht das rechte Hosenbein auf und zog ihm blitzschnell das Messer aus dem Holster.
    Kein Tai Pan.
    Aber scharf.
    Er setzte die Klinge an die Kehle des Jungspunds und konzentrierte sich darauf, die eigene Angst zu verbergen. War der andere ein Profi, würde er keine Minute brauchen, um ihn fertigzumachen. Ein paar Blutströpfchen perlten aus der vom Rasieren rötlich gereizten Haut.
    »Was willst du von mir?«, schrie Purgler.
    »Buch«, ächzte der Jungspund.
    »Welches Buch?«
    »Weiß nicht, das letzte … vor Verhaftung.«
    Anton Purglers Erinnerung an den letzten Nachmittag in der Lagerhalle war äußerst fragmentarisch. Wie das

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