Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
zu sein. Ich muss fast lachen, wenn ich heute daran denke.
Jimmy bekam den Spitznamen «Crazy Jake», weil er während unseres ersten Gefechts einschlief. Wir wurden aus dem Wald unter Beschuss genommen, gingen in Deckung und schössen zurück auf einen Gegner, den wir nicht sehen konnten, und das stundenlang, weil wir aufgrund unserer illegalen Position keine Luftunterstützung anfordern konnten. Und mittendrin sagte Jimmy: «Scheiß drauf», und machte ein Nickerchen. Das fanden alle ziemlich cool. Und während sie noch sagten, «Du spinnst doch, Mann, du bist total irre», sagte Jimmy, «Quatsch, es ist alles Jake», was bei uns so viel hieß wie «alles in Butter». Danach hieß er dann nur noch Crazy Jake. Ich glaube, außer uns beiden kannte keiner seinen richtigen Namen.
Jimmy verhielt sich nicht nur irre, er sah auch so aus. Ein Motorradunfall als Teenager hatte ihn fast ein Auge gekostet. Die Arzte kriegten es zwar wieder hin, aber danach bewegte es sich nicht mehr parallel mit dem unversehrten Auge, so dass man immer das Gefühl hatte, dass Jimmy an einem vorbeischaute, wenn man mit ihm sprach. «Omnidirektional», sagte er oft mit einem Lächeln, wenn er jemanden dabei ertappte, dass er das Auge verstohlen beobachtete.
Auf der High School war Jimmy recht gesellig gewesen, doch in Vietnam wurde er still, bildete sich unablässig weiter aus, nahm seine Arbeit ernst. Er war kein bulliger Typ, aber die Leute hatten Angst vor ihm. Einmal stellte ein Militärpolizist mit einem Deutschen Schäferhund Jimmy wegen irgendeines ungebührlichen Verhaltens in einer Bar zur Rede. Jimmy sah ihn nicht an, tat, als wäre er gar nicht da. Stattdessen starrte er den Hund an. Irgendetwas spielte sich zwischen den beiden ab, irgendetwas Tierisches, und der Hund winselte und wich zurück. Der MP bekam es mit der Angst und fasste den klugen Entschluss, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Dieser Vorfall floss in die Legende ein, die sich allmählich um Crazy Jake entspann: Sogar die Wachhunde fürchteten ihn.
Aber im Dschungel war keiner besser als er. Er war wie ein Tier, mit dem man reden konnte. Er verunsicherte die Leute mit seinem omnidirektionalen Auge, seinem langen Schweigen. Aber wenn das Geräusch der Transporthubschrauber in der Ferne verklang, wollten alle ihn bei sich haben.
Erinnerungen drängten auf mich ein wie ein Bataillon plötzlich wiederbelebter Leichname.
Erledigt sie heißt, erledigt sie. Num suyn!
Für uns gibt es kein Zuhause mehr, Johl. Nicht nach dem, was wir getan haben.
Denk nicht mehr drüber nach, beschwor ich mich selbst, der Refrain wie ein vertrautes statisches Rauschen. Was geschehen ist, ist geschehen.
Ich brauchte etwas Erholung und beschloss, mir diese Erholung bei einem Jazz-Konzert im Club Alfie zu gönnen. Seit meinem siebzehnten Lebensjahr, als ich meine erste Billy-Evans-Schall-platte hörte, ist Jazz meine Zuflucht vor der Welt, und im Augenblick war mir danach, Zuflucht zu finden.
Das Alfie ist ein so genanntes Raibu Hausu, Live-Haus – ein kleiner Club, in dem Jazztrios und -quartette auftreten und sich die Jazzfans Tokios treffen. Das Alfie ist, wie ein Jazzclub sein sollte: dunkel, eng, mit niedriger Decke und einer zufällig ausgezeichneten Akustik. Es bietet nur etwa fünfundzwanzig Leuten Platz und hat sich auf junge Künstler spezialisiert, die kurz vor dem ganz großen Durchbruch stehen. Es ist immer brechend voll, und man muss sich einen Platz reservieren, ein Luxus, den mein Leben im Dunkeln nicht erlaubt. Aber ich kannte die Mama-san des Alfie, eine rundliche alte Frau mit kurzen dicken Fingern und einem Watschelgang, der früher wahrscheinlich mal ein Tänzeln gewesen war. Obwohl sie längst aus dem Alter raus war, flirtete sie mit mir und war ganz vernarrt in mich, weil ich darauf einging. Das Alfie würde voll sein, aber für Mama war es kein Problem, noch eine Person mehr unterzubringen.
An diesem Abend nahm ich die U-Bahn nach Roppongi, wo das Alfie lag, und machte auf dem Weg dorthin einen GAG der mittleren Sicherheitsstufe. Wie immer wartete ich auf dem Bahnsteig, bis er leer war, ehe ich losging. Niemand folgte mir, als ich von der Treppe in den Abend von Roppongi trat.
Roppongi ist ein Cocktail aus Tokios schrillsten ausländischen und einheimischen Elementen. Sex und Geld verleihen dem Gebräu Pep. Westliche Hostessen – nach Japan gekommen in dem Glauben, sie könnten Models werden, dann aber in einer ganz anderen Branche gelandet – verkaufen
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