Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
führen sollte. Mein Vater gehörte zum Stab von Premierminister Yoshida, der dafür verantwortlich war, eine für Japan vorteilhafte Übersetzung des Dokumentes auszuhandeln.
Ihre Romanze wurde kurz nach Inkrafttreten der Verfassung im Mai 1947 bekannt und empörte beide Lager, weil man auf beiden Seiten davon überzeugt war, dass der eigene Vertreter im Bett Konzessionen gemacht haben musste, die am Verhandlungstisch unmöglich zu erreichen gewesen wären. Die Zukunft meiner Mutter im Außenministerium war schlagartig zu Ende, und sie blieb als Frau meines Vaters in Japan.
Aufgrund der interkulturellen und gemischtrassigen Ehe, die sie nicht befürworten konnten, brachen ihre Eltern den Kontakt zu ihrer Tochter ab, und meine Mutter reagierte auf ihre De-facto-Verwaistheit, indem sie Japan zu ihrer Heimat machte und so gut Japanisch lernte, dass sie zu Hause mit meinem Vater und mir nicht mehr aufs Englische angewiesen war. Als sie ihn verlor, verlor sie zugleich die Verankerung in dem neuen Leben, das sie sich aufgebaut hatte.
Hatte Midori ihrem Vater nahe gestanden? Vielleicht nicht. Vielleicht hatte zwischen ihnen Sprachlosigkeit geherrscht, vielleicht hatten sie sich über ihre Berufswahl gestritten, die in seinen Augen möglicherweise etwas Unseriöses hatte. Und falls es Streit und quälendes Schweigen und unbeholfene Versuche gegeben hatte, einander zu verstehen, hatte sie dann noch Gelegenheit zur Versöhnung gehabt? Oder war sie mit vielem zurückgeblieben, was sie ihm noch hatte sagen wollen?
Was zum Teufel ist los mit dir, dachte ich. Du hast weder mit ihr noch mit ihrem Vater irgendwas zu tun. Sie ist attraktiv, das macht dir zu schaffen. Okay. Aber jetzt lass es gut sein.
Ich blickte mich im Raum um. Alle außer mir schienen entweder zu zweit oder in Gruppen gekommen zu sein.
Ich wollte weg, irgendwohin, wo keine Erinnerungen heraufbeschworen wurden.
Aber wo sollte das sein?
Also lauschte ich weiter der Musik. Ich spürte, wie sich die Töne verspielt und zickzackartig von mir entfernten, und ich ließ mich von ihnen aus einer Stimmung zerren, die wie schwarzes Wasser um mich herum aufstieg. Ich hielt mich an der Musik fest, an dem Geschmack von Caol Ila in meiner Kehle, der Melodie in meinen Ohren, bis Midoris Hände zu verschwimmen schienen, bis ihr Profil sich zwischen ihrem Haar verbarg, bis die Köpfe, die ich im Halbdunkel und im Zigarettendunst um mich herum sah, wippten und Hände auf Tische und gegen Gläser trommelten, bis Midoris Hände immer schneller verschwammen und dann aufhörten – um einen Augenblick vollkommener Stille zu hinterlassen. Dann brach jubelnder Applaus los.
Kurz darauf bahnte sich Midori mit ihrem Trio einen Weg zu dem kleinen Tisch, der für sie freigehalten worden war, und der Raum war erfüllt von Gesprächsgemurmel und gedämpftem Lachen. Mama gesellte sich zu ihnen. Ich wusste, dass ich mich nicht einfach verdrücken konnte, ohne mich zuvor höflich von Mama zu verabschieden, aber ich wollte nicht an Midoris Tisch treten.
Außerdem würde ein so früher Abschied auf jeden Fall seltsam wirken. Ich sah ein, dass ich mich noch gedulden musste.
Gib's doch zu, dachte ich. Du willst das zweite Set hören. Und das stimmte. Midoris Musik hatte meine aufgewühlten Emotionen beruhigt, wie Jazz das immer tut. Die Aussicht, noch länger zu bleiben, störte mich nicht. Ich würde das zweite Set genießen, dann still und leise gehen und das alles hier als einen bizarren Abend in Erinnerung behalten, der irgendwie doch noch gut gelaufen war.
Alles klar. Nur keinen Mist mehr über ihren Vater, ja?
Aus den Augenwinkeln sah ich Mama auf mich zukommen. Ich blickte auf und lächelte, als sie sich zu mir setzte.
«Und? Was sagst du?», fragte sie.
Ich griff nach meiner Flasche, die um einiges leerer war als bei meiner Ankunft, und goss uns beiden ein Glas ein. «Ein zorniger Thelonious Monk, genau wie Sie gesagt haben. Und Sie haben Recht, Sie wird mal ein richtiger Star.»
Ihre Augen blitzten. «Möchtest du sie gern kennen lernen?»
«Das ist nett, Mama, aber ich glaube, mir ist heute Abend eher nach Zuhören als nach Reden.»
«Na und? Sie kann ja reden, und du kannst zuhören. Frauen mögen Männer, die zuhören. Sind schon seltene Vögel, ne?»
«Ich glaube nicht, dass ich ihr gefallen würde, Mama.»
Sie beugte sich vor. «Sie hat nach dir gefragt.»
Verdammt. «Was haben Sie ihr erzählt?»
«Dass ich ihr, wenn ich ein bisschen jünger wäre, gar nichts
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