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Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag

Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag

Titel: Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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mir gut. Ich war schon seit Monaten nicht mehr hier gewesen, aber sie wusste genau, wo meine Flasche stand; sie war noch immer mit allen Wassern gewaschen.
    Mein Tisch stand dicht vor der kleinen Bühne. Der Raum lag im Halbdunkel, aber eine Deckenlampe beleuchtete einen Flügel und den Bereich unmittelbar rechts davon. Keine gute Sicht auf den Eingang, aber man kann nicht alles haben.
    «Sie haben mir gefehlt, Mama», sagte ich auf Japanisch und merkte, wie die Anspannung von mir abfiel. «Verraten Sie mir, wer heute Abend auftritt.»
    Sie tätschelte mir die Hand. «Eine junge Pianistin. Kawamura Midori. Sie wird mal ein richtiger Star – am Wochenende hat sie schon einen Gig im Blue Note -, aber du wirst sagen können, dass du sie im Alfie gesehen hast, als sie noch nicht so bekannt war.»
    Kawamura ist in Japan ein häufiger Name, und ich dachte mir nichts dabei. «Ich glaube, ich habe schon von ihr gehört. Aber ich weiß nicht, was sie für Musik macht. Wie ist sie denn so?»
    «Wunderbar – sie spielt wie ein zorniger Thelonious Monk. Und absolut professionell, nicht wie einige andere von den jungen Leuten, die wir hier auftreten lassen. Vor gerade mal anderthalb Wochen hat sie ihren Vater verloren, das arme Ding, aber sie hat ihren Auftritt heute Abend trotzdem nicht abgesagt.»
    Erst da registrierte ich den Namen. «Das tut mir Leid», sagte ich bedächtig. «Was ist passiert?»
    «Herzinfarkt am Dienstagmorgen, noch dazu in der Yamanote-Bahn. Kawamura-san hat mir erzählt, es sei nicht völlig unerwartet gewesen – ihr Vater war herzkrank. Wir sollten für jeden Augenblick dankbar sein, der uns geschenkt wird, ne? Oh, da kommt sie schon.» Sie tätschelte mir noch einmal die Hand und verschwand.
    Ich wandte mich um und sah Midori mit ihrem Trio schnell und ausdruckslos zur Bühne gehen. Ich schüttelte den Kopf, versuchte, das Ganze zu verdauen. Ich war ins Alfie gekommen, um Kawamura und alles, was damit zusammenhing, hinter mir zu lassen, und stattdessen spukte hier sein Geist. Am liebsten wäre ich aufgestanden und gegangen, aber das wäre auffällig gewesen.
    Zugleich war da eine gewisse Neugier in mir, als würde ich an den Folgen eines von mir verursachten Autounfalls vorbeifahren, unfähig, den Blick abzuwenden.
    Ich betrachtete Midoris Gesicht, als sie am Flügel Platz nahm. Sie sah aus wie Mitte dreißig, und sie hatte glattes, schulterlanges Haar, so schwarz, dass es in der Beleuchtung von oben fast feucht schimmerte. Sie trug einen kurzärmeligen Pullover, schwarz wie ihr Haar, und die glatte weiße Haut von Armen und Hals schien daneben zu schweben. Ich wollte ihre Augen sehen, konnte aber im Schatten des Deckenlichtes nur einen kurzen Blick erhaschen. Sie hatte sie mit Eyeliner umrahmt, das sah ich, doch ansonsten war sie ungeschminkt. Selbstbewusst genug, sich nicht allzu viel Mühe zu geben. Nicht, dass es nötig gewesen wäre. Sie sah gut aus und wusste das offensichtlich auch.
    Ich spürte eine Spannung im Publikum, eine Erwartung. Midori hob die Finger über die Klaviatur, ließ sie kurz dort schweben. Ihre Stimme erklang, leise: «One, two, one two three four», und dann senkten sich ihre Hände und erweckten den Raum zum Leben.
    Es war «My Man's Gone», eine alte Bill-Evans-Nummer, keines ihrer eigenen Stücke. Ich mag den Song, und ich mochte die Art, wie sie ihn spielte. Sie verlieh ihm eine solche Energie, dass ich ebenso gern zugeschaut wie zugehört hätte, aber ich merkte, dass ich wegsah.
    Ich habe meinen eigenen Vater kurz nach meinem achten Geburtstag verloren. Er ist von einem Rechtsradikalen während der Straßendemonstrationen getötet worden, die Tokio 1960 erschütterten, als die Kishi-Regierung den Sicherheitsvertrag zwischen den USA und Japan ratifizierte. Mein Vater war mir zeit seines Lebens wie aus großer Distanz begegnet, und ich ahnte, dass ich der Grund für einige Auseinandersetzungen zwischen ihm und meiner Mutter war. Aber das alles erkannte ich erst später. Bis dahin weinte ich noch lange nach seinem Tod die nächtlichen Tränen eines kleinen Jungen.
    Meine Mutter machte es mir danach nicht leicht, obwohl ich wirklich glaube, dass sie ihr Bestes tat. Sie war Juristin beim Außenministerium der USA und in dem unter MacArthurs Oberkommando von den Alliierten Streitkräften besetzten Tokio Mitarbeiterin des Teams, das MacArthur damit betraut hatte, eine neue Verfassung zu entwerfen, die das Nachkriegsjapan in das anbrechende «amerikanische Jahrhundert»

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